Künstliche Riechzellen?

Biolumne

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Vignette: Chow Ming
Vignette: Chow Ming

Ein Mensch besitzt 5, ein Dackel 125 und der Schäferhund sogar 220 Millionen Riechzellen. Messungen bestätigten der Nase der Hunde gegenüber unseren bescheidenen Fähigkeiten auf diesem Gebiet eine etwa millionenfache Überlegenheit.

Der Geruchssinn wird oft geringer geachtet als das Sehen, Hören oder Tasten. Sein Fehlen jedoch würde den Bestand vieler Tierarten gefährden. Schließlich dienen die wahrgenommenen Gerüche und Düfte der Identifizierung von Nahrung, von Verwandten, Fremden oder gar Feinden sowie anderen Gefahren, z.B. Waldbränden. Aber auch beim Sozialverhalten bis hin zur Partnerwahl spielen sie eine zentrale Rolle. Selbst unter uns Menschen heißt es, man könne »sich nicht riechen«, wenn man sich unsympathisch findet. Trotz seiner Schwächen beim Schnuppern kann ein Mensch noch Tausende von Duftnoten identifizieren und im Gedächtnis behalten. Insbesondere die Gerüche aus der Kindheit prägen ein Leben lang. Die massenhafte Produktion von Gerüchen ist mittlerweile ein boomender Wirtschaftszweig mit Milliarden-Gewinnen.

Kein Wunder, dass daran gearbeitet wird, die natürliche Nase technisch zu imitieren. Die bisherigen »elektronischen Nasen« nutzen Polymere, die ein breites Spektrum kleiner Duftstoffmoleküle an sich binden. Dabei verändern sich die elektrischen Eigenschaften der Polymere, was dann gemessen werden kann. Leider sind diese Nasen viel zu unempfindlich und lassen sich leicht »ablenken«.

Forscher wie der Schweizer Horst Vogel vom Eidgenössischen Polytechnikum (EPFL) in Lausanne setzen deshalb auf eine Kombination aus natürlichen Duftstoff-Rezeptoren und elektronischen Chips. Dieser Tage hielt er darüber an meiner Universität in Hongkong einen sensationellen Vortrag.

Beim Riechen gelangen die Duftstoffe an die Riechschleimhaut in der oberen Nasenhöhle. Die darauf befindliche Flüssigkeitsschicht löst die Geruchsmoleküle. Der Mensch hat ca. 350 verschiedene Rezeptoren – Eiweiße, die ganz bestimmte Duftmolekülgruppen an sich binden. Ein »gefangenes« Duftstoffmolekül löst in der Riechzelle eine Reaktionslawine mit Proteinen und Enzymen aus, an deren Ende sich das elektrische Potenzial der Zelle deutlich verändert. Dieses elektrische Signal wird über Nervenzellen zum Gehirn geleitet, was uns sofort den Duft spüren lässt.

Es ist aber sehr schwer, ganze aktive Riechzellen mit einem Mikrochip zu kombinieren, nicht zuletzt wegen ihrer mitunter die Chips übertreffenden Größe. Dem Team um Horst Vogel gelang es nun – »durch einen glücklichen Laborunfall«, wie er bescheiden sagt –, aus den Membranen von Säugerzellen die intakten Rezeptoren herauszulösen. Das Zellgift Cytochalasin verwandelt im Labor jede Einzelzelle in etwa 50 Mini-Zellen, die aber alle noch Zellinhalt haben.

Vogel nennt sie »Attoliter-Vesikel«, weil sie Bläschen mit einem Rauminhalt von nur einem quintillionstel (10 hoch minus 18) Liter sind. Das Wunderbare daran: Diese winzigen »Atto-Zellen« enthalten funktionierende Rezeptoren, die völlig korrekt Duftstoffe binden! Und auch die Signal-Lawine funktioniert bei ihnen wie bei den normalen Riechzellen. Die Attoliter-Vesikel sind zudem klein genug, um auf den winzigen Feldern von Mikrochips gezielt platziert zu werden. Die Chips signalisieren dann, ob sich ein Duftstoff an der Atto-Zelle gebunden hat. Atto-Zellen sind also die kleinsten autonomen funktionierenden Container, die aus Säugerzellen gewonnen werden können.

Die Lausanner Gruppe revolutioniert damit die gesamte Zellbiologie, nicht nur für künstliche Nasen, sondern vor allem auch für die Pharmatestung. Unzählige Tierversuche können wegfallen. Wenn man neue therapeutische Moleküle mit Hilfe von automatisierten und miniaturisierten Kombinationssystemen bilden kann, wäre das ein revolutionärer Durchbruch in Forschung und Anwendung.

Bei Hunden korreliert übrigens die Länge der Nase mit ihrer Empfindsamkeit. Sollte ich »Langnase« also ausnahmsweise mal einen Vorteil gegenüber den Hongkongern haben?

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