Mit Viren gegen Krebs

Harmlose Schnupfenerreger sollen den Tumor mit seinen eigenen Waffen schlagen

  • Margit Mertens
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Idee ist bestechend: Die Krebszelle produziert selbst das Mittel zu ihrer eigenen Zerstörung. Genau diesen Weg haben Wissenschaftler unter der Leitung von Per Sonne Holm vom Institut für Experimentelle Onkologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München gesucht, gefunden und in Tierexperimenten erfolgreich getestet.

Der Schlüssel zum Erfolg sind maßgeschneiderte Viren, die zwischen gesunden und Tumorzellen unterscheiden können, sich ausschließlich in Tumorzellen vermehren und sogar die Zellen vernichten können, die gegen herkömmliche Behandlungsmethoden resistent geworden sind. Um das zu erreichen, haben Holm und sein Team Adenoviren, einen der vielen Erreger eines gewöhnlichen Schnupfens, gezielt genetisch so verändert, dass sie zur Vermehrung ein bestimmtes Eiweiß namens YB-1 brauchen, dass in großen Mengen in den Zellen aller untersuchten Krebsarten vorkommt. »Im Vergleich zu normalen Zellen findet man in Tumorzellen eine erheblich größere Menge des Proteins YB-1«, erklärt Holm.

Wie alle Viren können sich Adenoviren nicht selbst fortpflanzen. Sie dringen in eine Zelle ein und veranlassen ihren Wirt dazu, sie rund hundertfach zu vervielfältigen. Um die Zelle dann zu verlassen, zerstören sie deren Zellwand. Der Wirt stirbt dabei, die neuen Viren dringen nach außen und infizieren benachbarte Zellen, um sich wiederum zu vermehren. Die Krebszellen stellen so quasi das Krebsmittel gegen sich selbst her.

»Durch einen gezielten Eingriff in das Virusgenom spielt das YB-1 eine zentrale Rolle bei der Vermehrung der in die Zelle eingeschleusten Adenoviren«, erläutert Holm. Die Schnupfenviren brauchen das Zelleiweiß, um sich zu reproduzieren. Daher befallen sie einerseits nur Tumorzellen. Andererseits verbrauchen sie das YB-1 der Krebszelle bei der Vermehrung. »Dieses Protein ist unter anderem dafür verantwortlich, dass sich die Tumorzellen gegen Medikamente wehren können, die in der Krebsbekämpfung eingesetzt werden«, erklärt Holm. »Daher schwächen Adenoviren vor allem die besonders widerstandsfähigen Tumorzellen.«

Jährlich erkranken in der Bundesrepublik Deutschland etwa 350 000 Menschen neu an einem bösartigen Tumor. Weniger als die Hälfte dieser Patienten kann mit einer definitiven Heilung rechnen. Neben der chirurgischen Entfernung und der Bestrahlung stellt die Chemotherapie mit Zytostatika die zurzeit gebräuchlichste Therapieform in der Krebsbekämpfung dar. »Die dabei zum Einsatz kommenden Substanzen wirken prinzipiell gegen alle Zellen des Organismus, Tumorzellen zeigen jedoch eine wesentlich stärkere Chemosensitivität«, sagt Holm. Im Gegensatz dazu stürzen sich die Adenoviren gezielt nur auf die Krebszellen und schädigen gesunde Zellen nicht.

Hinzu kommt, dass viele Tumore wenig oder gar nicht auf eine Behandlung ansprechen oder nach einem Anfangserfolg laut Holm »unempfindlich gegenüber dem verwendeten Zytostatika werden.« Auch kann es zu Vielfachresistenzen kommen. »Hoffnung verspricht der neue Ansatz insbesondere für solche Tumore, für die bisher keine wirksame Therapie zur Verfügung steht«, ist Holm überzeugt. Denn sie entziehen dem Tumor das für die Resistenz verantwortliche YB-1. »So können unsere Schnupfenviren die Tumorzellen mit deren eigenen Waffen schlagen.«

»Obwohl in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte bei der chirurgischen Intervention, der Strahlen- und der Chemotherapie erzielt wurden, sind wir bei einigen Tumoren wie beim Pankreaskarzinom oder bei bestimmten Gehirntumoren relativ machtlos«, betont Holms. »Wir haben daher intensiv nach einer innovativen Strategie gesucht, die hier eine Lösung verspricht. Dabei haben wir uns auf Viren konzentriert, da sie die Eigenschaft haben, sich in Zellen einzunisten und sie dann dazu anregen, weitere Viren zu produzieren. Besonders gut geeignet waren die Adenoviren – zum einen rufen sie wenig Nebenwirkungen hervor, zum anderen kann man sie leicht in großen Mengen herstellen.« Das Verfahren ist patentiert und wird von der von Holms gegründeten Firma XVir Therapeutics in präklinischen Studien überprüft. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das vielversprechende Projekt mit 1,2 Millionen Euro.

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