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Múm: Die schönste Weichheit
Leise und fragil: Múm machen die freundlichsten Songs in der Geschichte der freundlichen Popmusik
Auf dem Berliner Label Morr Music erscheint mit die zärtlichste und damit auch friedlichste Elektronik, global gesehen. Das neue Album des isländischen Kollektivs Múm, »History of Silence«, klingt dann auch von der ersten bis zur letzten Minute so, als wollte es die freundlichsten Songs und Tracks in der Geschichte der freundlichen Popmusik auffahren. Die einzelnen Bestandteile – Klicks, Geräusche, Melodien und Gesänge – haben allesamt gemeinsam, dass sie leise und manchmal auch fragil wirken, diese Zerbrechlichkeit und Fragilität aber nicht als problematisch vermitteln, sondern vielmehr als vorbildhaft.
Insofern ist diese Musik, also der Sound von Múm, alles andere als schwach, sondern von einer beharrlichen Konsequenz. Konsequent, weil hier Musiker*innen seit der Bandgründung 1997 durch die Zwillinge Gyða und Kristín Anna Valtýsdóttir und spätestens seit dem Debütalbum »Yesterday Was Dramatic – Today Is Ok« fünf Jahre später mit einem geradezu forschenden Interesse an Sounds herumtüfteln, die maximal zugewandt, sanft und behutsam anmuten. Und trotzdem nicht seicht oder infantil oder ähnlich wirken.
Das ist unheimlich wichtig, wenn man es mit flauschiger Popmusik zu tun bekommt, und die Zahl an butterweichen, sturzlangweiligen Ambient-Alben ist bestimmt vierstellig. Múm machen das besser. Das Zarte, Weiche bleibt hier immer idiosynkratisch und eigenbrötlerisch. Zugewandte Musik, ja, aber auch eine, die sich wie aus schlafwandlerischen Impulsen heraus ab- und woanders hinwenden kann. Wie ein Kind, das etwas Spannenderes zum Spielen gefunden hat und das Spielzeug, das es bis eben noch in der Hand hatte, einfach beiseite legt.
Das Album der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau
Gerade seitdem Múm mit den Alben »Go Go Smear the Poison Ivy« und »Sing Along to Songs You Don’t Know« von einer Band zu einem losen, kollektivartigen Zusammenhang geworden sind, ist die Musik vielgestaltiger und in einem guten Sinne ungreifbarer geworden. Auch auf »History of Silence« bleibt vieles im angenehm Vagen. Tragende Säulen sind die glasklaren, entkörperlichten Stimmen und die hohe Zahl an Loops und kleinteiligen, minimalistischen Patterns, um die herum alles andere angelagert wird. Davon ausgehend geht dann aber vieles: abgeklärte Elektronik-Balladen wie »Only Songbirds Have a Sweet Tooth«, eine Powerpop-Ballade mit verschwommen-angedeuteter Stadion-Hymnen-Ästhetik wie »Our Love is Distorting«, der programmatisch betitelte, sehr tröstliche »Mild At Heart« oder ein kleines Stück sanft verstrahlte Kammermusik wie »Avignon«.
Es gibt in dem ja nun auch schon seit über einem Vierteljahrhundert wachsenden Indie-Electronics-Kosmos von Morr Music einige Bands oder Projekte, die eine ähnliche Atmosphäre verbreiten: Eskapismus, der nicht doof macht, aber weich und durchlässig und friedlich. Eigentlich also eine momentan sehr anachronistische Musik, die dem Weltenlauf entsprechend entrückt ist, und das wahrscheinlich ganz bewusst. Múm aber haben das Prinzip perfektioniert und insofern mit am Schönsten ausgestaltet, als sie durch Kleinteiligkeit und Ideenreichtum immer dafür sorgen, dass aus der schönen Weichheit keine Laschheit und Gemütlichkeit wird.
Múm: »History of Silence« (Morr Music/Indigo)
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