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EU-Skeptiker gewinnen in Prag
Andrej Babiš könnte erneut Ministerpräsident von Tschechien werden
Schon die Vorhersagen deuteten auf einen klaren Sieg des Agrar- und Medienmilliardärs Andrej Babiš hin. In Umfragen lag seine Partei ANO stets bei 30 Prozent. Die Regierungskoalition aus den bürgerlichen Parteien ODS und TOP 09, den Christdemokraten von der KDU-ČSL sowie dem Piraten- und Bürgermeisterbündnis PaS konnte allenfalls mit dem zweiten Platz rechnen. Eine Fortsetzung der amtierenden Regierung war von vornherein unmöglich und vom Wahlvolk offensichtlich auch nicht gewollt.
Die europaskeptische ANO, dessen Akronym übersetzt »Aktion unzufriedener Bürger« bedeutet, konnte nun mehr als ein Drittel der Wählerstimmen auf sich vereinigen; das Mitte-rechts-Bündnis Spolu (Gemeinsam) aus ODS, TOP 09 und Christdemokraten folgt mit 23,3 Prozent, die bisher mitregierenden Bürgermeister und Unabhängigen von STAN und die Piraten erreichten 11,2 Prozent bzw. 8,9 Prozent.
Abkehr von Brüssel
Zahlenmäßig läge die Koalition zwar vor ANO, doch zu einer Regierungsbildung reicht dies nicht. Andrej Babiš sieht sich nicht nur als Sieger, sondern auch schon mit der Unterstützung der rechtsextremen SPD Tomio Okamuras und der konservativen Autofahrerpartei Motoristy auf der Regierungsbank. Eine solche populistische Rechtskoalition könnte nach Stand der Dinge auf insgesamt 108 Parlamentssitze kommen, eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus wäre schon mit 101 Sitzen erreicht.
Babiš trifft sich mit seinen voraussichtlichen Partnern vor allem auf der nationalistischen und souveränistischen Schiene. Schon in seinen vergangenen Amtszeiten blickte der Unternehmer skeptisch auf Entscheidungen, die aus Brüssel oder Straßburg kamen. Damit traf seine Haltung auf die Unzufriedenheit der Bürger, die sich fragen, warum das eigene Land bei wirtschaftlicher Krise die EU und vor allem auch die Ukraine immer weiter unterstützen soll. Babiš kündigte mehrfach an, bei einer Regierungsübernahme die Waffenlieferungen an Kiew einstellen zu wollen.
Damit könnte sich der wiederkehrende Premier in eine Linie mit dem Ungarn Viktor Orbán und dem Slowaken Robert Fico stellen. Eine mit der EU abgestimmte Linie der Visegrad-4-Staaten (außer den genannten gehört noch Polen dazu) dürfte sich als schwierig erweisen. Ganz sicher wird sich der ANO-Chef nicht auf die Seite Moskaus stellen, dazu ist die Einstellung der Bevölkerungsmehrheit doch zu prowestlich und das Trauma von 1968 noch immer nicht verheilt. Doch schon eine abwartende Haltung gegenüber der EU- und Nato-Politik könnte die westlichen Aktivitäten und Pläne unterminieren.
Innenpolitisch will Andrej Babiš wie bereits in seinen vorherigen Regierungen den Intentionen seiner großen Vorbilder – Donald Trump und Silvio Berlusconi – folgen. Sein Politik soll den Aufschwung in die Republik zurückbringen, Wirtschaft und Industrie auch ohne Subventionen aus Brüssel ankurbeln. Ein Versprechen, dass er bereits bei seinen Amtsantritten 2017 und 2018 gegeben hatte, jedoch nicht einhalten konnte. Zwar haben sich die Konten der tschechischen Milliardäre, darunter auch das des Regierungschefs, in den Jahren weiter deutlich erhöht, doch hat die breite Masse der Bevölkerung daran nicht partizipiert. Dennoch hoffen die Wähler nach ebenso erfolglosen Jahren des Regierens der Koalition unter Petr Fiala (ODS/Spolu), dass sich das nun ändern sollte.
Hoffen auf Aufschwung
Dafür will Andrej Babiš, der Regieren wie das Führen eines Unternehmens versteht, nun mit einer Ein-Partei-Regierung antreten und sich die Unterstützung der rechtsnationalistischen SPD und der Motoristen sichern. Dies vor allem mit einer Abkehr vom Green Deal und der Zurückweisung von Auflagen für klimaneutrale Politik. Mit Energie aus fossilen Brennstoffen soll die Wirtschaft angekurbelt und zu einem Wohlstand zurückgeführt werden, wie er sich Anfang der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zu entwickeln schien.
An diesem Vorhaben sind jedoch alle Regierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte gescheitert. Zudem kamen mit den wirtschaftlichen Niedergängen auch noch reichlich Korruptionsvorwürfe gegen die politischen Spitzen hinzu, an denen nicht nur etliche Funktionäre aller Couleur, sondern auch Andrej Babiš selbst scheiterten. Nur mit großem Ach und Krach konnte er sich aus der Affäre um die Veruntreuung von EU-Fördergeldern für sein Spa-Ressort Storchennest herausziehen.
Eine wehrhafte Opposition ist nicht in Sicht
Die bisherigen Koalitionäre – die sicher keine Liebesheirat eingegangen waren – treten nun als Einzelfraktionen an. Schon am Ausgang des zweiten Wahltags hörte man von Abgeordneten, die im Parlament die Fraktionen wechseln wollen. Die Reaktion des Wahlvolks wird wohl die übliche sein. Kopfschütteln und denken: So ist es eben immer.
Die linke Opposition aus Kommunisten und Sozialdemokraten, die unter der Losung Stačilo! (Es reicht!) angetreten waren, sind nicht einmal mehr im Parlament vertreten. Gerade einmal 4,3 Prozent konnte das Bündnis auf sich vereinen. Zeiten, in denen Tschechiens Sozialdemokraten ČSSD unter Miloš Zeman oder Jiří Paroubek souverän die Regierungen führten und die kommunistische KSČM eine starke Opposition bildete, sind längst Vergangenheit. Kateřina Konečná, Vorsitzende der Kommunistischen Partei, verweist auf die Arbeit an der Basis. In vielen Kommunen wirke ihre Partei erfolgreich mit, dies werde auf Dauer – und bei Scheitern der jetzt gewählten Regierung – Früchte tragen.
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