Gaza: Zarte Hoffnung nach zwei Jahren Krieg

US-Präsident Donald Trump drängt auf ein Waffenstillstandsabkommen, doch beide Kriegsparteien haben Vorbehalte

  • Oliver Eberhardt, Amman
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein Mann mit Kanister läuft an Zelten vorbei, in denen Kriegsflüchtlinge untergebracht sind. Die Zelte stehen im von Katar erbauten Wohnkomplex Hamad City im südlichen Gazastreifen.
Ein Mann mit Kanister läuft an Zelten vorbei, in denen Kriegsflüchtlinge untergebracht sind. Die Zelte stehen im von Katar erbauten Wohnkomplex Hamad City im südlichen Gazastreifen.

Zum ersten Mal seit fast zwei Jahren hegen die Menschen im Gazastreifen und in Israel so etwas wie Hoffnung, nicht viel, einen Funken davon, denn mehr könne man wirklich nicht erwarten, sagen Menschen auf beiden Seiten: Es sei viel zu viel passiert, um große Pläne zu schmieden.

Am Samstag demonstrieren einmal mehr Zehntausende für einen Deal mit der Hamas, für die Freilassung der letzten 48 Geiseln, die sich noch im Gazastreifen befinden. 20 davon seien noch am Leben, sagt die israelische Regierung. Und im Hintergrund mahnen Ärzte und Therapeuten, dass die Angehörigen nicht die Menschen wiedersehen werden, die sich vor zwei Jahren von ihnen auf dem Weg zum Nova-Festival, zum Strand oder auch nur einfach für ein paar Besorgungen verabschiedet haben.

Auf der ägyptischen Seite der Grenze zum Gazastreifen herrscht derweil seit Wochen ein gigantischer Stau: Kilometerweit stehen vollbeladene Lastwagen Schlange; mehr als 5000 seien es mittlerweile, gab Ägyptens Außenminister Badr Abdelatty vor einigen Tagen bekannt.

Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge UNRWA hat derweil sehr nüchtern die grausame Statistik des Gaza-Kriegs veröffentlicht: 80 Prozent der Gebäude im Gazastreifen seien zerstört oder schwer beschädigt; 90 Prozent der Wasser- und Abwasser-Infrastruktur seien unbrauchbar; 40 Prozent der Bevölkerung lebten neben Müll, der nicht entsorgt werden kann.

Angesichts der 66100 Menschen, die bei Kriegshandlungen getötet wurden, klingt das wie eine Marginalie. Der jahrelange Bürgerkrieg im Jemen hat aber gezeigt, dass marode Infrastruktur und Müll zu Krankheitswellen führen können, die tödlicher sind als der Krieg selbst.

Im ägyptischen Badeort Scharm El-Scheikh sind nun die Unterhändler der Hamas sowie der israelischen und der US-amerikanischen Regierung eingetroffen – zu indirekten Gesprächen. Das bedeutet, dass die ägyptischen Vermittler in Einzelgesprächen mit den Konfliktparteien reden und ihnen Nachrichten der anderen Seite überbringen.

US-Präsident Donald Trump macht Druck. Bei Truth Social, seinem eigenen sozialen Netzwerk, forderte er von den Unterhändlern Eile. Alle arabischen Staaten und der Iran sowie viele westliche Regierungen unterstützen seinen Plan, einige loben den Präsidenten gar.

US-Präsident Donald Trump macht Druck. Bei Truth Social, seinem eigenen sozialen Netzwerk, forderte er von den Unterhändlern Eile.

Doch immer wieder wird in diesen Tagen auch deutlich: Die Lobpreisungen für Trump sind eine nette Geste, nicht mehr. Hat sein 20-Punkte-Plan ganz oder teilweise Erfolg, gewinnen alle. Sollte er scheitern, dann kann man Trump den schwarzen Peter zuschieben. Und aktuell wäre selbst ein Waffenstillstand ein Erfolg.

Denn wenn es um Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu auf der einen und die Hamas auf der anderen Seite geht, dann folgt auf ein »Ja« immer recht bald auch ein »Aber«. Netanjahu und seine Leute beharren darauf, weiterhin Truppen in Teilen des Gazastreifens stationieren zu können. Zudem trotzt Netanjahu der Ansage aus Washington, die Bombardements im Gazastreifen umgehend zu beenden, während die Verhandlungen laufen.

Das Politbüro der Hamas reagierte indes verhalten auf die Pläne für die Zukunft des Gazastreifens: In einem Statement der Organisation erklärt man die Zustimmung zum von Trump vorgeschlagenen Austausch von israelischen Geiseln für palästinensische Gefangene. In Bezug auf die künftige Verwaltung Gazas heißt es allerdings: »Wir betonen unsere Zustimmung dahingehend, dass der Gazastreifen von einer palästinensischen Gruppe von Unabhängigen (Technokraten) verwaltet werden soll, basierend auf einem nationalen palästinensischen Konsens und arabischer und islamischer Unterstützung.«

Trumps Plan hingegen sieht vor, dass ein »Friedensrat«, an dem neben ihm selbst und dem ehemaligen britischen Regierungschef Tony Blair auch ungenannte weitere Regierungschefs beteiligt sein sollen, wohl auch eine Technokraten-Führung besetzen soll – ganz ohne Beteiligung der Hamas und der palästinensischen Autonomiebehörde.

Die palästinensische Eigenstaatlichkeit taucht im Trump-Plan ganz am Ende auf, unter Punkt 19, und ziemlich wachsweich formuliert: Wenn sich die Autonomiebehörde reformiere, »könnten die Rahmenbedingungen für einen glaubwürdigen Pfad zur palästinensischen Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit geschaffen worden sein«. In der arabischen Öffentlichkeit wird das überwiegend als dauerhaftes Ende für die palästinensischen Unabhängigkeitsbemühungen gesehen.

Doch die wirklich elementare Herausforderung wird auf der ägyptischen Seite der Grenze sichtbar, wo sich die Lastwagen stauen. Der Friedensplan sieht unter Punkt 1 die Schaffung einer »entradikalisierten, terrorfreien Zone« vor. Genau dies jedoch versuchen Israel und Ägypten bereits seit 20 Jahren zu erreichen. Die Grenzen wurden strikt kontrolliert, komplizierte Mechanismen für den Warenimport geschaffen, modernste Überwachungstechnologie installiert.

Dennoch schaffte es die Hamas, seit 2014 massiv aufzurüsten, wurde das Massaker mit 1200 Toten am 7. Oktober 2023 möglich. Dementsprechend ist es sehr wahrscheinlich, dass die Blockade auch nach einem Waffenstillstand weiter bestehen bleibt.

Der Stau an der Grenze sei nicht deshalb entstanden, weil der Übergang in Rafah komplett geschlossen sei, sagen die ägyptischen Behörden: Es dauere nun bis zu 18 Stunden, um einen einzigen Lastwagen zu kontrollieren. Vieles hängt deshalb auch davon ab, ob man es schaffen wird, Kontrollmechanismen zu etablieren, die die von Trump angekündigte Verbesserung der Lage im Gazastreifen tatsächlich erreichen können.

Denn im Angesicht der enormen Zerstörungen dort wird der Grenzverkehr im Vergleich zu früher um ein Vielfaches zunehmen. Und die vom US-Präsidenten vorgeschlagenen Wirtschaftszonen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt: Ausländische Unternehmen werden ihre Investitionen von einem möglichst ungehinderten Warenverkehr abhängig machen.

Für die Menschen auf beiden Seiten ist all das ferne Zukunftsmusik: Die einen warten auf die Rückkehr ihrer Angehörigen. Die anderen darauf, dass die Lieferungen, die sich in Ägypten stauen, bei ihnen ankommen. Denn der nächste Winter steht vor der Tür.

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