Assimilation oder Auswanderung

Zionismus und Faschismus – eine tödliche Beziehung

  • Klaus Jaschinski
  • Lesedauer: 5 Min.

»Lenni Brenners Arbeit beleuchtet einen besonders in der deutschen Diskussion von vielen Autoren tabuisierten Bereich der Geschichte. Die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit werden ihren Lesern deutlich machen, daß die aktuelle Debatte in einer Grundfrage zurechtgerückt werden muß: der falschen Annahme, daß die zionistische Bewegung bis 1945 einen ernsthaften Beitrag zum Kampf gegen den Antisemitismus und Faschismus geleistet hat und daß die israelische Politik diesen Kampf fortsetzt«, schreibt Dieter Elken im Vorwort.

In der Tat geht der Autor des hier anzuzeigenden Bandes, der einer orthodoxen jüdischen Familie entstammt und aktiv in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wirkte, hart mit der Gründungslegende des Staates Israel ins Gericht. Er spürt Fragen nach, um die sich die hiesige »Antisemitismus-Forschung« bei allem mahnenden Gedöns nur allzu gern herummogelt. Eine davon lautet: »Ist es vorstellbar, dass jüdische Organisationen nicht nur lukrative Geschäfte mit den Mördern des eigenen Volkes machten, sondern diese auch aktiv und passiv unterstützten?« Lenni Brenner wagte sich an die Untersuchung des überaus diffizilen Verhältnisses zwischen Zionismus und Antisemitismus, und dies nicht nur auf Deutschland bezogen.

Schon unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg war es in Europa zu zahlreichen antisemitischen Auswüchsen gekommen, zumal »Sieger« wie »Besiegte« von Krisenerscheinungen geplagt wurden und Hardliner aus beiden Lagern nicht gerade zimperlich verfuhren, als es galt, Sündenböcke zu präsentieren und zu brandmarken. In fast allen europäischen Ländern mussten die Juden dafür herhalten. Grund genug für jüdische Organisationen und Verbände, dagegen frühzeitig Front zu machen. Aber was taten führende Zionisten, die damals zwar unter jüdischen Organisationen und Verbänden noch längst nicht tonangebend waren, aber mit der Balfour-Deklaration von 1917 einen bedeutenden Achtungserfolg erzielt hatten? Wie Brenner aufzeigt, war es bei Leibe nicht der Antisemitismus in seinen diversen Spielarten, den sie primär zu bekämpfen gedachten. Nahum Goldmann, Präsident des jüdischen Weltkongresses und der Zionistischen Weltorganisation, meinte: »Die Gefahr der Assimilation der jüdischen Gemeinschaft unter den Völkern, in deren Mitte sie leben, ist sehr viel ernster als die äußere Bedrohung durch den Antisemitismus.« Und Chaim Weizmann, der erste Präsident Israels, war 1912 gar der Ansicht, dass in Deutschland zu viele Juden lebten. Assimilation war zu verhindern und die Auswanderung möglichst vieler Juden nach Palästina zu befördern.

Not und Elend waren schon immer triftige Gründe für Auswanderung gewesen. Zügelloser Antisemitismus sorgte zudem noch für reichlich Wut im Bauch. Anders als Herzl, der behauptete, Palästina sei ein Land ohne Menschen, nahm Wladimir Jabotinsky, der Führer der »rechten« Zionisten, kein Blatt vor den Mund, als er 1923 in einem Artikel konstatierte: »Die zionistische Kolonisation, sei sie auch noch so eingeschränkt, muß entweder eingestellt oder unter Mißachtung des Willens der einheimischen Bevölkerung fortgeführt werden. Diese Kolonisierung kann daher nur unter dem Schutz einer von der einheimischen Bevölkerung unabhängigen Kraft fortgesetzt und entwickelt werden – einer eisernen Wand, die von der einheimischen Bevölkerung nicht durchbrochen werden kann. Das ist, kurzgefaßt, unsere Politik gegenüber den Arabern. Sie anders auszudrücken, wäre nichts als Heuchelei.«

Gegen die Assimilation und für die Auswanderung nach Palästina – das hatte Priorität im Lager der Zionisten vor dem Machtantritt der Nazis in Deutschland und erhielt danach erst recht Auftrieb, wie der Autor u. a. mit seinen Ausführungen zum Abschlus und den Folgen des Haavara (=Transfer) -Abkommens belegt. Zwar gelang es unter Nutzung dessen bis zum Kriegsbeginn 66 000 deutsche Juden zur Auswanderung nach Palästina zu bewegen und einen nahezu gigantischen Betrag von 139,6 Millionen Reichsmark zu transferieren, dafür versagten die Zionisten anderen jüdischen und demokratischen Organisationen aber die Unterstützung bei ihren Bemühungen, einen wirksamen Boykott gegen Nazi-deutschland zustande zu bringen.

Zur »Blut-und-Boden-Romantik« gesellte sich alsbald noch ein Liebäugeln mit den Neuordnungsplänen der Faschisten, vor allem der italienischen, um sich der inzwischen lästig gewordenen Gängelung durch die britische Besatzungsmacht zu entledigen. Ein kleiner, extrem fanatischer Teil von Zionisten, zu dem offenbar auch Yithzak Schamir (später Ministerpräsident in Israel) gehörte, erwog gar, auf deutscher Seite in den Krieg einzutreten. Obwohl die grausame faschistische Wirklichkeit die Zionisten beizeiten hätte ernüchtern müssen. Der Autor verweist auf die Tragödie der ungarischen Juden und den unrühmlichen Deal von Rezso Kasztner mit dem deutschen Judenjäger Eichmann. Mag sein, dass sich manche Zionisten in völliger Verkennung der Realitäten zur Kollaboration mit hartgesottenen Antisemiten verleiten ließen im festen Glauben, deren Rassenhass kanalisieren zu können. Aber wie Lenni Brenner verdeutlicht, war bei etlichen auch kühle Berechnung mit im Spiel, dominierte politisches Kalkül.

Gewiss, so neu sind diverse hier präsentierte Fakten nicht, bekannt auch aus anderen Büchern jüdischer Autoren, etwa von Yehuda Bauer, dem ehemaligen Leiter des International Centre for Holocaust Studies in Yad Vashem. Brenners Buch selbst, dessen Titel im Original »Zionism in the Age of Dictators« lautet, ist schon 1983 (!) erschienen und erst jetzt in Deutsch herausgegeben worden. Das hat, wie erwähnt, Gründe. Angemerkt sei zum Schluss nur noch dies: Der Titel der deutschen Ausgabe ist etwas zu spaktakulär.

Lenni Brenner: Zionismus und Faschismus. Über die unheimliche Zusammenarbeit von Faschisten und Zionisten. Kai Homilius Verlag, Berlin 2007. 370 S., geb., 24,80 EUR.

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