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Die Dauerbaustelle der Nationalmannschaft
Auf den defensiven Außenbahnen hat das DFB-Team weiter große Probleme
Mitarbeiter des Weltkonzerns Adidas haben aufgehört, sich über den Zustand auf dem wichtigsten Zubringer zu ihrer Arbeitsstelle zu ärgern. Die A3 zwischen Würzburg und Nürnberg gleich seit mehr als fünf Jahren einer Dauerbaustelle. Mittendrin in diesem Abschnitt liegt die Ausfahrt nach Herzogenaurach, wo sich die deutsche Nationalmannschaft auch auf die WM-Qualifikationsspiele gegen Luxemburg in Sinsheim am Freitag und gegen Nordirland in Belfast am Montag vorbereitet.
Baustellen bearbeitet Julian Nagelsmann auf dem Trainingsgelände dieser Tage einige – und genau wie das für den Autobahnausbau verantwortliche Konsortium »A3 Nordbayern« weiß auch der Bundestrainer nicht so genau, wann alles wirklich fertig wird. Vor allem die Außenverteidigerpositionen wirken wie ein ständiges Provisorium. Joachim Löw sicherte sich den WM-Titel bekanntlich mit einer »Ochsenabwehr«, in der Benedikt Höwedes von Anfang bis Ende als Linksverteidiger aushalf.
Hilft nur eine Fünferkette?
Über solch verlässliche Notlösungen wäre Nagelsmann schon heilfroh. Der 38-Jährige spricht von einer »instabilen Situation«, an der er aber nicht unschuldig ist. Der zuletzt unglückliche Debütant Nnamdi Collins von Eintracht Frankfurt und der bei der Heim-EM noch als Stammkraft geführte Stuttgarter Maximilian Mittelstädt sind für den aktuellen Kader durchs Rüttelsieb gerauscht, wobei der Bundestrainer bei der 0:2-Schlappe in der Slowakei in völliger Verzweiflung den Linksfuß Mittelstädt als Rechtsverteidiger stellte. Gegen Nordirland verteidigte dann eine Dreierkette, vor der Stuttgarts Jamie Leweling und Leipzigs David Raum auf außen offensiver agierten.
Der beim Brauseklub zum Kapitän aufgestiegene Raum kennt die Debatte, die seinen Zuständigkeitsbereich betrifft. »Ich kriege das natürlich mit, dass über Außenverteidigerprobleme geredet wird. Ich versuche, bei mir zu bleiben. Ich glaube an meine Fähigkeiten«, versicherte der 27-Jährige nach dem Training des DFB-Teams am Dienstag. »Ich versuche, meine Stärken einzubringen: meine Physis, meine Mentalität.« Der ehemalige Hoffenheimer möchte gleich am Freitag an ehemaliger Wirkungsstätte vorangehen, um schlussendlich mit vier Siegen aus den verbleibenden Qualifikationsspielen noch direkt das Ticket für die WM 2026 zu lösen.
Frankfurter Talent rein, Frankfurter Talent raus
Hinter Raum gibt neuerdings Nathaniel Brown den Backup. Den in Frankfurt zum Leistungsträger gereiften Linksverteidiger bezeichnete Nagelsmann als »großes Talent in der Abwehr«. Über die Nominierung hat sich »Nene«, wie den gebürtigen Amberger alle nennen, riesig gefreut: »Julian Nagelsmann hat mir eine Audio-Nachricht geschickt. Ich habe im September schon mit ihm telefoniert. Ich bin überglücklich, dass ich zur Nationalmannschaft fahren kann«, erklärte Brown am Dienstag. Wäre nur gut, wenn man ihn ein bisschen behutsamer aufbaut als seinen Klubkollegen Collins.
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Außerdem hat Nagelsmann überraschend den Leipziger Ridle Baku berufen, der sich unter RB-Trainer Ole Werner als Stammkraft eine größere Verlässlichkeit zugelegt hat. »Er ist ein sehr fleißiger Junge, bei dem man genau weiß, was man kriegt«, lobte Raum den Vereinskollegen. Der Allrounder kam in seinen vier Länderspielen unter Hansi Flick zwar dreimal in der Qualifikation für die WM 2022 als Rechtsverteidiger zum Einsatz, wirkte dabei aber oft so fahrig, dass der Nagelsmann-Vorgänger schon vor dem Turnier in Katar auf den gebürtigen Mainzer verzichtete. Insofern überrascht die Rückholaktion des 27-Jährigen nach fast vier Jahren Auszeit schon.
Nur Kimmich garantiert internationale Klasse
Generell stellt sich die Frage, ob die Versetzung von Joshua Kimmich ins zentrale Mittelfeld wirklich hilft. Klar, der DFB-Kapitän spielt auch im Klub mittlerweile fast ausschließlich diese Position, aber der 30-Jährige verkörpert auch als Rechtsverteidiger mindestens internationale Klasse. Von den anderen Kandidaten kann das seriös nicht behauptet werden. Aber wie sagte der vor Selbstbewusstsein strotzende Raum nach der Vormittagseinheit in Herzogenaurach unter wolkenverhangenem Himmel: »Wir haben einen klaren Plan, ein klares Ziel und ein Riesenpotenzial. Ich glaube fest daran, dass was Gutes entstehen kann.« Hörte sich fast so an, als würde bis nächsten Sommer für die WM-Mission in Nord- und Mittelamerika alles rechtzeitig fertig.
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