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Der Anfang vom Ende des Krieges?
Hochrangige Delegationen aus den USA, Katar und der Türkei steigen in Gaza-Verhandlungen ein
Die Hoffnungen, dass die seit Montag im ägyptischen Urlaubsort Scharm El-Scheikh laufenden Gespräche zur Beendigung des Massakers in Gaza führen, sind überall in der Region groß. US-Präsident Donald Trump hat seinen Nahost-Sondergesandten Steve Witkoff und Schwiegersohn Jared Kushner ans Rote Meer geschickt. Mohammad Katani, der Premierminister Katars, Mohammad Bin Abdelrahman Al-Thani, und der Chef des türkischen Geheimdiensts MIT, İbrahim Kalın, sind ebenfalls am Ausfeilen der Details von Trumps 20-Punkte-Plan beteiligt. Das Scheitern einer so prominent besetzten Konferenz scheint undenkbar. Auch Ägyptens Präsident Abdel Fatah Al-Sisi gab sich am Donnerstag optimistisch wie selten zuvor. Die Botschaften, die er von den Delegationen der Hamas und aus Israel erhalten habe, machten Mut, sagte Al-Sisi bei der Eröffnung einer Polizeiakademie.
In Ägypten ist die Hoffnung auf die Freilassung der israelischen Geiseln, palästinensischer Gefangener und auf einen langfristigen Waffenstillstand besonders groß. Denn das Alternativ-Szenario wäre eine Gefahr für die Macht von Al-Sisi und der ägyptischen Armee. Sollte Israel die Vertreibung der Bewohner von Gaza-Stadt fortsetzen und alle Bewohner des Gaza-Streifens in den Süden treiben, wäre der von Israels Rechtsradikalen geforderte Sturm auf die Sinai-Halbinsel nur eine Frage der Zeit. »Wenn hunderttausende Palästinenser aus purer Verzweiflung die Grenze stürmen und ägyptische Soldaten auch nur auf einige von ihnen schießen«, warnt ein Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation, »dann gibt es einen Volksaufstand.«
Doch selbst ohne ein solches Schreckensszenario: Lager mit Millionen von Flüchtlingen wären für das wirtschaftlich angeschlagene Ägypten und Jordanien äußerst riskant. Der Zweckoptimismus von Präsident Al-Sisi sei in den Gängen des Hotels in Scharm El-Scheikh überall spürbar, berichten ägyptische Journalisten unter der Hand.
Wer in Gaza-Stadt nach den Friedensgesprächen fragt, erhält eher nüchterne Antworten. »Die Bombardierungen hatten nach Trumps Forderung an Israel am Wochenende nachgelassen«, sagt der Journalist Mohammad Nadschar. »Doch mittlerweile ist man wieder nirgends sicher. Und was passiert nach Phase eins, wenn die Geiseln freigekommen sind? Wird dann Netanjahu wie nach dem letzten Waffenstillstand einfach weitermachen?«
Aus Scharm El-Scheikh sind ähnliche Fragen zu hören. Die Hamas-Delegation fordere persönliche Garantien von Donald Trump, dass dieses Mal nicht nur Phase eins des Abkommens umgesetzt wird.
Dafür jedoch plädieren Israels Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich, die zwar den gesamten 20-Punkte-Plan ablehnen, aber für die Freilassung der 20 noch lebenden Geiseln auch mehrere hundert palästinensische politische Häftlinge laufen lassen würden. »Seit vielen Jahren einsitzende palästinensische Führungsfiguren wie Marwan Barghuti sind durch die Haft gebrochen«, sagt ein Analyst aus Ramallah. »Und mehrere tausende Palästinenser wurden seit 2023 ohne Anklage oder Angabe von Gründen in Administrativhaft gesteckt, quasi genau für so einen Austausch.«
»Was passiert nach Phase eins, wenn die Geiseln freigekommen sind? Wird dann Netanjahu wie nach dem letzten Waffenstillstand einfach weitermachen?«
Mohammad Nadschar Journalist
Während in israelischen Regierungskreisen die Angst vor dem Austritt der Radikalen aus der Regierungskoalition umgeht, gehen in Tel Aviv jeden Abend wieder Zehntausende auf die Straße. Die Angehörigen der Geiseln haben seit zwei Jahren auf den Druck aus Washington gewartet.
Sollte es zu einem Abkommen kommen, beginnen erst die eigentlichen Herausforderungen. Was, wenn die Hamas nicht alle toten Geiseln aus den Trümmern von Gaza-Stadt bergen kann? Ben Gvir und seine Verbündeten würden die Fortsetzung der Vertreibung aller Palästinenser aus dem Norden des Gazastreifens durchsetzen.
Entscheidend für die Durchführung des Abkommens ist auch der israelische Oppositionsführer Benny Gantz, der Netanjahu bereits die Duldung einer Minderheitsregierung bis zu Neuwahlen versprochen hat, für den Fall, dass Ben Gvir aussteigt.
Auch auf palästinensischer Seite wird eine bisher kaum sichtbare politische Spaltung die wohl größte Herausforderung zur Umsetzung eines Abkommens: Das Vakuum, das eine entwaffnete Hamas hinterließe, wollen der Islamische Dschihad und von Israel unterstützte Familienclans im Süden des Gazastreifens für sich nutzen.
Ähnlich wie die Radikalen um Ben Gvir hoffen die Hamas-Kämpfer auf die halbherzige Umsetzung eines Abkommens. Die Kämpfe zwischen diesen Gruppen und die zunehmenden Überfälle auf Kritiker der Milizen zeigen klar: Ohne internationale Präsenz in Form einer Beobachtermission oder Schutztruppe wird der von Trump als historisch bezeichnete Friedensplan scheitern.
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