Ein Gerangel, drei Versionen

Göttinger Hausprojekt von AfD provoziert

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Hausprojekt »OM10« widerspricht der Darstellung der Polizei, zu einer Auseinandersetzung mit AfD-Mitgliedern.
Das Hausprojekt »OM10« widerspricht der Darstellung der Polizei, zu einer Auseinandersetzung mit AfD-Mitgliedern.

Eine handfeste Auseinandersetzung in Göttingen zwischen AfD-Mitgliedern und Leuten aus dem Umfeld des linken Hausprojekts »OM10« beschäftigt nicht nur Polizei, Lokalpolitik und örtliche Medien. Sie gerät auch zu einem Kampf um die Deutungshoheit über den Vorfall.

Die Polizei war dabei am schnellsten. Am Samstagabend der vergangenen Woche sei es in der Innenstadt zu einem »mutmaßlichen Übergriff« durch mehrere Personen aus dem Umfeld des Objekts »OM10« auf Mitglieder der AfD gekommen, berichtete die Pressestelle der Göttinger Polizeiinspektion am Sonntag. Zwei 28 und 35 Jahre alte Mitglieder der Rechtsaußenpartei hätten dabei leichte Verletzungen erlitten, eine ärztliche Behandlung jedoch abgelehnt.

Rund 15 AfDler, darunter auch der zum »Höcke-Flügel« zählende Bundestagsabgeordnete Micha Wehre, hätten sich zuvor im Rahmen einer parteiinternen Veranstaltung in einem Restaurant getroffen, so die Polizei. Im Anschluss an die Zusammenkunft habe sich die Gruppe zu einem Spaziergang durch die Göttinger City begeben, »dabei wollte sie nach eigenen Angaben ›interessehalber‹ an dem Gebäude ›OM10‹ vorbeigehen«.

»OM10« steht für die Straße Obere Masch und die Hausnummer 10. In dem Gebäude residierte lange Zeit der DGB, dann stand es leer, wurde besetzt und schließlich von einer Initiative gekauft und in Eigenarbeit saniert. Heute bietet die »OM10« Wohnraum unter anderem für Geflüchtete und einen Saal für Veranstaltungen; in einem Anbau haben die linken Anhänger des Fußballvereins Göttingen 05 ihren Fanraum eingerichtet.

Im Verlauf der Nacht vom Samstag zum Sonntag stoppten Polizisten nach eigenen Angaben »in Tatortnähe« fünf verdächtige Personen. Gegen die zwei Frauen und drei Männer seien Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitet worden.

Am Montag zog die AfD mit einer eigenen – und eigenwilligen – Geschichte nach. Wie der Göttinger AfD-Kreisverband auf Facebook schilderte, sollen die Angreifer aus der »OM10« einem Mitglied der AfD-Gruppe eine Glasflasche auf die Stirn geschlagen haben, »so dass diese zerbrach«. Der Mann habe deshalb in der Notaufnahme eines Göttinger Krankenhauses behandelt werden müssen.

Von diesem Schlag mit der Flasche ist der Polizei allerdings nichts bekannt. »Entsprechende Verletzungen wurden während der Sachverhaltsaufnahme am Samstagabend vor Ort von der Polizei weder aufgrund eigener Wahrnehmungen festgestellt, noch von den Attackierten oder anderen Personen aus der AfD-Gruppe gegenüber den Beamten angegeben«, sagte eine Polizeisprecherin.

An diesem Freitag meldete sich schließlich die »OM10« mit einer »Richtigstellung« zu Wort. Am fraglichen Abend hätten sich etwa 20 Personen aus dem AfD-Spektrum vor dem Hausprojekt versammelt und dort für ein Foto positioniert. Eine Person habe die Gruppe angesprochen, sei aber von den AfDlern »unvermittelt brutal angegriffen« worden. Durch schnelles Handeln von Menschen, die sich rund um die »OM10« aufhielten, habe Schlimmeres verhindert und die Gruppe Rechtsextremer von der »OM10« und dem benachbarten Platz der Synagoge ferngehalten und vertrieben werden können.

»Die versuchte Provokation mit Posieren vor unserer Hausfassade sowie die unvermittelte Körperverletzung sind ein klarer Angriff auf unser Hausprojekt, das für Werte wie Vielfalt, Solidarität und Antirassismus steht«, sagt »OM10«-Sprecherin Lisa Schnell. Sie sieht einen Zusammenhang mit weiteren rechten Aktivitäten: Ebenfalls in der Nacht zu vergangenem Sonntag waren Wände, Tische und Fenster des linken Cafés »Dots« in der Innenstadt mit 13 großformatigen Hakenkreuzen beschmiert worden.

Nach Angaben von »Dots«-Geschäftsführer Hendrik Oberwinter hat es einen so massiven Angriff auf das Café noch nicht gegeben. Aber in der jüngsten Vergangenheit habe die Zahl von Aufklebern mit rechten Inhalten im Umfeld des Cafés massiv zugenommen.

In den Wochen davor brannte es mehrmals vor einem islamischen Supermarkt in der Nordstadt. »Diese Vorkommnisse müssen in einen Zusammenhang mit verstärktem Eindringen von faschistischen Kräften in die Stadt gestellt werden«, so Lisa Schnell.

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