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»Ballad of a Small Player«: Ein Mann, einsam und verloren
Edward Bergers neuer Film »Ballad of a Small Player« erzählt vor der grellen Fassade der Macauer Spielcasinos eine leider vorhersehbare Geschichte
Lord Doyle (Colin Farrell) steht das Wasser bis zum Hals. Er verliert fortwährend Geld am Spieltisch, das Nobelhotel, in dem er logiert, will, dass er endlich seine Rechnungen bezahlt, und zu allem Überfluss ist ihm plötzlich auch noch Privatdetektivin Cynthia Blythe (Tilda Swinton) auf der Spur. Edward Bergers neuer Film »Ballad of a Small Player« taucht in die grelle Welt der Spielcasinos im chinesischen Macau ein und erzählt das Drama eines einsamen Mannes auf der Flucht, der an seiner Spielsucht verzweifelt und immer wieder kurz vorm Herzinfarkt steht.
Die Geschichte basiert auf einem Roman von Lawrence Osborne, dessen Bücher bisher wenig ins Deutsche übersetzt wurden und der gerne als eine Art Paul Bowles oder Graham Greene der Gegenwartsliteratur abgefeiert wird. Die männliche Hauptfigur in »Ballad of a Small Player« steht dementsprechend essenziell kurz vorm tragischen Untergang, kämpft verbissen um die eigene Existenz und erlebt eine Art metaphysische Katharsis. Mit rotem Samtjackett und gelben Lederhandschuhen wirkt Lord Doyle, dessen Leben eng mit dem Glücksspiel verbunden ist, wie eine aus der Zeit gefallene Figur. Eigentlich heißt er auch ganz anders, ist natürlich nicht adelig und entstammt in Wirklichkeit der irischen Working Class.
Macau ist genau der richtige Ort strahlender Künstlichkeit, um sich neu zu erfinden.
Aber Macau ist genau der richtige Ort strahlender Künstlichkeit, um sich neu zu erfinden. Und so hat sich der kleine britische Vermögensverwalter, der eine Million Pfund veruntreut hat, auf die abenteuerliche Reise ans andere Ende der Welt gemacht, um dort das große Scheitern seiner Träume zu erleben.
Edward Berger inszeniert diese Tragödie als überbordendes, bildgewaltiges Drama vor der Kulisse der Spielcasinos in Macau, wo es wie in Las Vegas den Nachbau eines Eiffelturms gibt, inklusive jeder Menge gigantischer, farbenfroher Springbrunnen und einer glitzernden Skyline. Die allzu vorhersehbare Story des scheiternden Spielers driftet schließlich in eine psychedelische Geistergeschichte ab, die mit Umzügen traditionell kostümierter Menschengruppen und im Feuerschein illuminierten Tempelanlagen etwas exotisch daherkommt.
Während einer verzweifelten, rauschartigen Nacht am Spieltisch lernt Lord Doyle dann die geheimnisvolle und selbstredend wunderschöne Dao Ming (Fala Chen) kennen, die ihm zu horrenden Bedingungen Geld leiht, damit er weiterzocken und wieder alles verlieren kann. Zwischen den beiden entspinnt sich zwangsläufig eine Affäre. Sie rettet ihn schließlich, als er einen Zusammenbruch erlebt, und nimmt ihn mit auf ein Hausboot vor der Küste Macaus.
Dort scheint sich Lord Doyle nicht nur von seiner zwanghaften Spielsucht zu erholen, sondern er erfährt auch noch das Geheimnis seiner Geliebten, die wie er auf der Flucht vor der eigenen Vergangenheit und einer nicht wiedergutzumachenden Schuld ist.
Natürlich geht es nach der viel zu kurzen Katharsis irgendwann doch wieder zurück an den Spieltisch. Und statt zu verlieren, erlebt Lord Doyle, der immer nur das auch in James-Bond-Filmen so beliebte, eigentlich ziemlich anspruchslose Baccara spielt, die ganz große Glückssträhne. Aber passiert das wirklich? Oder ist das Teil einer geisterhaften Beschwörung?
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Lord Doyle stürzt immer tiefer in den Rausch des Spieles hinein und sieht auch immer schlechter aus, als würde das Leben langsam aus ihm herausgesaugt werden. Hat das mit dem buddhistischen Geisterfest zu tun, von dem immer wieder die Rede ist und das im Lauf jener Woche stattfindet, in der Doyle von allen Seiten Druck gemacht wird, endlich seine Schulden zu bezahlen oder sich Polizei und Gerichtsbarkeit auszuliefern? Tilda Swinton als rotzfreche Detektivin verkörpert ganz wundervoll die von Doyle hinter sich gelassene autoritäre Ordnung des Klassensystems, die ihn dann doch wieder einholt.
Je weiter sich die Geschichte entwickelt, desto surrealer mutet sie an. Das ist dann definitiv auch das Ergiebigste an diesem opulent ästhetisierten Opus über den tiefen Fall eines einsamen, verlorenen Mannes. Wenn geheimnisvolle Boote wie Geister knarzend durch die Bucht von Macau treiben, plötzlich Säcke voller Geld auftauchen und es zu slapstickhaften Verfolgungsjagden durch die Kellergänge der Hotelindustrie kommt, bietet der zu vorhersehbare Plot einige Überraschungen und wirklich wundervolle Bildsequenzen.
Edward Berger inszeniert das alles ebenso grell wie rasant. Colin Farrell spielt großartig den verunsicherten Geflüchteten, der sich verzockt hat, aber gleichzeitig ein manisch von sich selbst überzeugter Spieler ist, der kein Morgen kennt. Aber auch wenn Farrell alles gibt, egal ob er aggressiv zitternd Spielkarten verbiegt, um zu sehen, welches Blatt er hat, oder blass schwitzend nach einer Fressorgie im Hotelzimmer vor dem körperlichen Kollaps in den Champagner-Kübel kotzt: Wirkliche Tiefe bekommt diese Figur des hilflosen Betrügers am Rand seines Untergangs leider nicht wirklich. »Ballad of a Small Player« ist ein bunter Film, erzählt eine grelle Geschichte mit reichlich leuchtenden Fassaden, doch das war’s dann auch.
»Ballad of a Small Player«, USA/Deutschland 2025. Regie: Edward Berger. Mit: Colin Farrell, Tilda Swinton, Alex Jennings. 101 Min. Start: 16. Oktober.
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