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- Reform der Notfallversorgung
Patientenbedürfnisse müssen in den Mittelpunkt
Melanie M. Klimmer über den Grünen-Gesetzentwurf zur Reform des Rettungsdienstes und der Notfallversorgung
Bereits 2023 stellte die »Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung« fest, dass die Leidtragenden der Versorgungslücken im Gesundheitssystem vor allem ohnehin schon gefährdete Gruppen sind. Doch die bisherigen Reformpläne erwarten weiterhin, dass alte und chronisch kranke Menschen, Eltern mit ihren kranken Kindern und andere vulnerable Personen oft weite Transportwege und Wartezeiten in Kauf nehmen, weil die Gesundheitsversorgungsstrukturen vor Ort unzureichend sind und das Fachwissen fern vom Wohnort der Patienten konzentriert wird.
Janosch Dahmen hatte deshalb zwar recht, als er am Donnerstag im Bundestag sagte, ein völlig dysfunktionales System der Notfallversorgung koste Menschenleben. Der Arzt und Bundestagsabgeordnete der Grünen ist Mitinitiator des neuen Gesetzentwurfs zur Reform des Rettungsdienstes und der Notfall-Versorgung, dessen erste Lesung vergangene Woche stattfand. Mit dem eingebrachten Entwurf könnten allein rund 30 Millionen Krankenhausbelegungstage eingespart und die Krankenkassen um fünf Milliarden Euro jährlich entlastet werden, so Dahmen.
Doch während es im Bundestag überwiegend um die Wirtschaftlichkeit der Notfallversorgung ging, geriet eines in den Hintergrund: Die Bedürfnisse der Patient*innen, die häufig älter, chronisch krank oder sozial benachteiligt sind.
Und so klaffen auch im aktuellen Gesetzentwurf an vielen Stellen Lücken: Ohne eine standardisierte Notrufannahme in Verbindung mit einer telefonischen Gesundheitsberatung und einfachen Services sowie telemedizinische Möglichkeiten im Hintergrund reicht die von Grünen geforderte Zusammenführung verschiedener Notrufnummern zu einer integrierten Leitstelle nicht aus.
Mit der Ansiedlung interdisziplinärer Notfallzentren an ausgewählten Standorten bleiben die Hürden für manche Patienten weiterhin zu hoch, wenn die starke, wohnortnahe und interdisziplinäre Basisgesundheitsversorgung fehlt.
Die Auslastung der Notaufnahmen und die Zahl der Einweisungen ins Krankenhaus an den Tagesrandzeiten oder an Wochenend- und Feiertagen kann bereits im Vorfeld und vor einem möglichen Notfall durch eine gezielte, aufsuchende pflegerische, medizinische und sozialpsychiatrische Versorgung deutlich gesenkt werden. Das machen andere Staaten bereits vor.
Bisher rücken nur punktuell, wie zum Beispiel in Teilen Berlins, mobile interdisziplinäre, sozialmedizinische Notfallteams zu sogenannten »sozialen Notfällen« und Mehrfachnutzern des Rettungsdienstes aus. Für den Umgang mit solchen Akutfällen sind Notfallmediziner und -sanitäter, anders als Akutsozialarbeiter, oft nicht ausgebildet, sodass es zu unnötigen Einweisungen kommt.
Staaten, die sich an internationale Standards halten, setzen flächendeckend First-Responder-Einheiten ein, die noch vor dem Rettungsdienst eintreffen und die Hilfsfristen verkürzen, wenn es hingegen auf jede Minute ankommt. Gemeinde-Notfallsanitäter können zudem Akut- und Notfallpatient*innen, die sich nicht in direkter Lebensgefahr befinden, noch vor Ort günstiger behandeln, weil es den Rettungsdienst nicht braucht. Bei der Umsetzung solcher Konzepte ist Deutschland Schlusslicht.
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