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Fanprojekt Karlsruhe: Urteil stärkt Zeugnisverweigerungsrecht
Landgericht stellt Vertrauensverhältnis in sozialer Arbeit über den Wert staatlicher Ermittlungen
Am vergangenen Sonnabend dürften Volker Körenzig, Sophia Gerschel und Sebastian Staneker heilfroh gewesen sein, dass sie weit weg vom Ort der Krawalle waren. Im Karlsruher Wildparkstadion versuchten mehrere Dutzend Fußballfans des 1. FC Kaiserslautern und des KSC ihre Rivalität mit Fäusten auszutragen, dabei wurden mehrere Ordner verletzt. Wären die drei Sozialarbeiter vom Fanprojekt Karlsruhe in der Nähe gewesen, hätte sie ein Déjà-vu ereilen können. Im schlimmsten Fall hätten sie gegenüber Polizei und Justiz aussagen müssen – und das hätten sie erneut verweigert, schließlich beruht ihre gesamte Arbeit auf einem Vertrauensverhältnis zu ihren Klienten.
Juristisch nützt ihnen ihr Berufsethos allerdings gar nichts, denn nach wie vor haben sie kein Zeugnisverweigerungsrecht. Dass sich genau das schnellstens ändern muss, hatte zwei Tage vor dem Südwestderby auch Richter Peter Stier am Karlsruher Landgericht zum Ausdruck gebracht, als er ein Verfahren gegen die drei Fanarbeiter gegen die Zahlung einer Geldstrafe von 1500 bis 3150 Euro an den Kinderschutzbund einstellte.
Handlungsauftrag für die Politik
In den Monaten zuvor waren in nahezu allen Fankurven der ersten und zweiten Liga Solidaritätsplakate für das Fanprojekt Karlsruhe und dessen Mitarbeiter gehisst worden. »Die Solidarität aus den Fanszenen war unglaublich wertvoll«, erklärt Georg Grohmann vom Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit. »Man kann sich kaum vorstellen, wie sie die Kolleginnen durchs Verfahren getragen hat.« Wie viele andere interpretierte auch Grohmann die Würdigung der Rechtslage durch Richter Stier als Handlungsauftrag an die Politik, nun endlich das Zeugnisverweigerungsrecht auf weitere Arbeitsfelder der sozialen Arbeit auszudehnen.
Anlass der Ermittlungen war eine verunglückte Pyro-Aktion bei einem Heimspiel des Karlsruher SC im November 2023. Dabei war so massiv Pyrotechnik gezündet worden, dass elf Personen verletzt wurden. Dafür wurden Anfang der Woche erneut zwei Ultras zu Bewährungsstrafen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft war damals aktiv geworden, weil sie vermutete, dass die drei Sozialarbeiter mehr über die Hintergründe der Pyro-Aktion wussten. Die aber verweigerten die Aussage – unter Hinweis auf das geschützte Vertrauensverhältnis.
Drohende Haftstrafe
Dass Körenzig, Gerschel und Staneker damit fachlich richtig gehandelt haben, ist eigentlich unumstritten. Doch nach der gegenwärtigen Rechtslage setzten sie sich mit ihrer Weigerung ins Unrecht, schließlich haben sie im Gegensatz zu Sozialarbeitern in der Drogenarbeit oder der Schwangerschafts-Konfliktberatung kein Zeugnisverweigerungsrecht. Und solange die Politik es ihnen nicht zugesteht, stehen sie nach wie vor »mit einem Bein im Gefängnis«. Diese Wendung hörte man oft, wenn man die vielen beim Prozess anwesenden Mitarbeiter der Fanprojekte um ihre Einschätzung bat. Und tatsächlich hatte vor einigen Monaten sogar Beugehaft gegen die drei Mitarbeiter vom Karlsruher Fanprojekt im Raum gestanden.
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Nun stellte also auch das Karlsruher Landgericht letztinstanzlich fest, dass das eigentliche Problem noch nicht gelöst sei. Doch trotz der Einstellung des Verfahrens bleibt es vorerst bei der schizophrenen Situation, dass Fanarbeiter in die Fänge der Justiz geraten können, wenn sie das tun, was gemäß »Nationalem Konzept Sicherheit im Sport« ihr Auftrag ist: sich präventiv um Jugendliche zu kümmern, die sozial abweichendes oder delinquentes Verhalten an den Tag legen. Allein dadurch, dass Pyrotechnik in Deutschland kriminalisiert wird, ist das ganz offensichtlich. Dass Delikte wie Sachbeschädigung, Landfriedensbruch aber auch Gewalttaten und Drogen zu den Themenfeldern gehören, mit denen sich jedes Fanprojekt schon beschäftigen musste, ist ebenfalls klar.
Da all das aber nicht nur im Fußball vorkommt, sondern grundsätzlich überall, wo sich junge Menschen im öffentlichen Raum bewegen, bleibe die Forderung nach einer Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts auf die gesamte soziale Arbeit weiter aktuell, meint Georg Grohmann. »Sozialarbeiter*innen haben den gesellschaftlichen Auftrag, auch mit gewalttätigen Jugendlichen zu arbeiten. Sie sind oft auch vor Ort, wenn Straftaten passieren. Und dann sind sie in dem Dilemma, dass sie über Situationen aussagen müssen, in denen sie vorher signalisiert haben, dass man sich ihnen anvertrauen kann.«
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