»Der Konsum kann helfen, das Leben auf der Straße auszuhalten«

David Konschack vom Berliner Verein Fixpunkt spricht über akzeptierende Sozialarbeit, Wohnungslosigkeit unter Drogenabhängigen – und den Rechtsruck

  • Interview: Tanja Röckemann
  • Lesedauer: 14 Min.
Berlin, Kottbusser Tor
Berlin, Kottbusser Tor

Bei Fixpunkt in Berlin können Menschen legal Drogen konsumieren. Das steht ja erst mal quer zur Gesetzeslage. Wie kam es zur Einrichtung eines solchen Ortes?

Es gibt Fixpunkt e. V. seit den 90er Jahren. Die damalige und auch heutige Geschäftsleiterin, die ich als Initiatorin bezeichnen würde, ist unsere Chefin Astrid Leicht. Der Verein wurde gegründet, um die Problemlagen drogengebrauchender Menschen, die zumeist auf der Straße leben, überhaupt anzuerkennen und ihnen zu begegnen. Wir schauen gezielt, wo Hilfe gebraucht wird, und haben den Anspruch, diese Hilfe direkt vor Ort bei den Menschen anzubieten. In erster Linie geht es dabei um einen möglichst sicheren Konsum. Dazu gehört natürlich auch die Bereitstellung von hygienischen Konsumutensilien wie sauberen Spritzen, Pfeifen oder Inhalationsfolien. Ziel ist es, Risiken wie Infektionen oder Verletzungen zu minimieren und gleichzeitig einen niedrigschwelligen Zugang zur Hilfe zu ermöglichen. Manchmal geht es dabei nicht um Verbesserung, sondern schlicht darum, einen bestimmten Gesundheitszustand zu erhalten.

Ist das ein übliches Vorgehen der Sozialarbeit in diesem Bereich?

Es ist ein Vorgehen nach dem Ansatz der Schadensbegrenzung – aus dem Englischen »Harm Reduction« –, der längst auch wissenschaftlich untermauert ist. In der Fachwelt gilt dieser Ansatz mittlerweile als der richtige Weg, auch wenn es in der Praxis nach wie vor viele Hürden gibt. Wir kooperieren mit verschiedenen Akteur*innen, was oft nicht einfach ist, da es um einen Bereich geht, der von vielen Interessenskonflikten betroffen ist. Trotzdem wurden entsprechende Strukturen aufgebaut. Ein wichtiges Thema war und ist dabei stets: Wo befindet sich die Szene überhaupt? Das braucht ein kontinuierliches Monitoring. Fixpunkt hat hier gewissermaßen eine Nische besetzt.

Gibt es dieses Angebot auch woanders als in Berlin?

Es gibt verschiedene Träger, aber wenn man bundesweit schaut, ist die niederschwellige, akzeptierende Suchthilfe immer noch eher ein kleiner Bereich. In Bayern beispielsweise gibt es keinen einzigen Drogenkonsumraum – und nicht nur das: Das gesamte Thema existiert dort in der Öffentlichkeit schlichtweg nicht. Es wird häufig betont, dass dieser Bereich deutlich gestärkt und ausgebaut werden müsste. Zwar wird es nie einen vollkommen sicheren Konsum geben, aber uns geht es darum, die Menschen schlicht mit ihrer Lebensrealität anzunehmen.

Interview

David Konschack ist seit drei Jahren Sozialarbeiter beim Fixpunkt e. V. in Berlin. Er ist ausgebildeter Kinderpfleger, war mehrere Jahre als Individualbegleiter an einer Schule für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung tätig und studierte Soziale Arbeit in Weingarten und Berlin. Heute arbeitet er in der niedrig­schwelligen, akzep­tie­renden Sucht­hilfe, ins­be­son­dere mit stark margina­li­sierten Drogengebraucher*innen.

Fungiert Fixpunkt auch als Schnittstelle zu anderen sozialarbeiterischen Angeboten, zum Beispiel für wohnungslose Klient*innen?

Ich selbst bin Mitarbeiter im Team des Drogenkonsum-Mobils, und wir haben zurzeit vier feste Standorte in Berlin: in Charlottenburg, Kreuzberg, Wedding und Neukölln. Bei dieser Arbeit geht es in erster Linie um praktische Überlebenshilfe. Die Klient*innen können bei uns zum Beispiel etwas essen, wir bieten belegte Käse- oder Wurststullen sowie Heißgetränke und Wasser an. Am Leopoldplatz in Berlin-Wedding arbeiten wir dabei aus einem Container heraus. An einem Fenster gibt es das genannte Essens- und Getränkeangebot, am anderen werden Konsumutensilien ausgegeben. Bei Letzterem geht es um die Minimierung von Risiken im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten und um Schadensminderung beim Konsum. In Zusammenhang mit diesen lebenspraktischen Angeboten übernehmen wir aber auch eine wichtige Rolle in der Vermittlung: Es geht darum, besonders isolierte Konsumierende überhaupt erst mal zu erreichen. Das sind oft Menschen, die bereits viele schlechte Erfahrungen mit dem Hilfesystem gemacht haben. Deshalb ist der Beziehungsaufbau ein zentraler Teil unserer Arbeit. Wir wollen klarstellen, dass wir die Menschen so annehmen, wie sie sind – wie auch immer ihr aktueller Konsumstatus ist. Es ist ein großer Unterschied zu vielen anderen Angeboten, dass wir nicht am Abstinenzparadigma festhalten. Wir haben häufig genug erlebt, dass man Menschen weder durch Worte noch durch Druck dazu bringen kann, mit dem Konsum aufzuhören, oder dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt schlichtweg noch nicht aufhören können. Ob sie konsumiert oder nicht, das kann letztlich nur die Person selbst entscheiden.

Stellen Sie auch Jobcenter-Anträge oder versuchen, Menschen wieder in eine Krankenversicherung zu bekommen oder ihnen eine Wohnung zu vermitteln?

Ja, wir machen auch solch »reguläre« soziale Arbeit. Dabei stellt sich natürlich immer die Frage nach einer sinnvollen Abgrenzung von der Arbeit im Kontext des Drogenkonsumraumes. Wir bieten in der Regel keine Einzelfallhilfe im klassischen Sinne an, also keine intensive, langfristige Begleitung von Personen. Dafür gibt es spezialisierte Stellen, an die wir aber bei Bedarf vermitteln. Oder wir nehmen Kontakt zur Clearingstelle auf, um überhaupt medizinische Angebote oder Behandlungen – etwa bei Hepatitis oder HIV – zu ermöglichen.

Was ist eine Clearingstelle?

Die Clearingstelle ist der Berliner Stadtmission angegliedert und bietet kostenlose, vertrauliche und mehrsprachige Beratung für Menschen in Berlin an, die keine Krankenversicherung haben oder unsicher sind bezüglich ihres Versichertenstatus. Unterstützt werden insbesondere Menschen ohne Papiere, Asylsuchende und Migrant*innen, Zugang zum Gesundheitssystem zu erhalten. Zu den Leistungen gehören die Ausstellung von Kostenübernahmescheinen für Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte sowie die Unterstützung bei der Klärung von Versicherungsfragen. Auch die Vermittlung in Wohnangebote, betreutes Wohnen oder ähnliche Unterstützungsformen gehört dazu. Letztlich ist das Spektrum sozialarbeiterischer Tätigkeiten, womit wir es in diesem Bereich zu tun haben, sehr breit.

Sind überhaupt viele der Menschen, die zum Fixpunkt kommen oder die mobilen Angebote wahrnehmen, von Wohnungslosigkeit betroffen?

Ja, eindeutig. Es gibt einen relativ hohen Anteil von Menschen mit nichtdeutschem Pass oder Geflüchteten, die auf der Straße leben und unsere Angebote nutzen. Das hängt auch damit zusammen, dass diese Menschen häufig deutlich weniger Zugang zu Hilfestrukturen haben, stärker stigmatisiert sind und dadurch seltener andere Unterstützungsangebote wahrnehmen (können). Die sozialen und gesundheitlichen Folgen zeigen sich bei ihnen entsprechend früher und massiver. Wie bei vielen Abhängigkeitserkrankungen spielt hier die soziale Lage eine zentrale Rolle. Das gilt allerdings nicht ausschließlich für Menschen mit Fluchterfahrung oder für Menschen in Armut. Unsere Nutzer*innengruppe ist insgesamt sehr divers.

Wie stellt sich denn der Zusammenhang von Wohnungslosigkeit und Drogenkonsum für Sie dar? Beide Phänomene sind ja – entgegen dem verbreiteten Bild – keineswegs deckungsgleich. Und macht es einen großen Unterschied für Nutzer*innen, wieder ein Dach über dem Kopf zu haben?

Das ist schwer pauschal zu beantworten. Natürlich muss man sagen: Nicht jede obdachlose Person nimmt Drogen oder ist abhängig. Viele Menschen ohne festen Wohnsitz konsumieren gar keine Substanzen. Gleichzeitig besteht aber ein enger Zusammenhang zwischen dem Leben auf der Straße und Drogenkonsum – oft als eine Form des Umgangs mit dem belastenden Alltag oder der permanenten Stresssituation. Der Konsum kann helfen, das Leben auf der Straße überhaupt irgendwie auszuhalten, und führt dadurch nicht selten in eine stärkere Abhängigkeit. Dann kommt noch die häufige Korrelation von Abhängigkeit und psychischen Erkrankungen hinzu. Auch hier ist die Frage: Was war zuerst da? Ist der Drogenkonsum ein Versuch der Selbstmedikation? Das funktioniert ja häufig sogar eine gewisse Zeit lang. Aber irgendwann kippt es – je nach Person, Substanz, Konsummuster und Lebenslage. Ob jemand den Weg aus der Abhängigkeit findet oder nicht, hängt dann tatsächlich stark von den vorhandenen Ressourcen ab: Habe ich eine Wohnung? Habe ich ein stabiles soziales Umfeld, Freunde oder Familie? Habe ich überhaupt irgendeine Sicherheit oder Perspektive? Wenn diese Dinge fehlen, wird die Sucht oft chronisch – einfach weil das gesamte Leben von Überlebensdruck und Ausgrenzung geprägt ist. Wer den ganzen Tag auf der Straße verbringen muss, um irgendwie Geld aufzutreiben, und dabei zusätzlich stigmatisiert wird, hat kaum Kraft oder Möglichkeiten, sich mit der eigenen Sucht auseinanderzusetzen – geschweige denn, Hilfe zu suchen.

Versuchen Sie in Ihrer Arbeit, alle diese verschiedenen Faktoren irgendwie getrennt zu betrachten, beziehungsweise macht das überhaupt Sinn?

Eigentlich spielen die individuellen Ausprägungen dieser Faktoren für uns zunächst keine große Rolle, weil wir die Menschen eben so annehmen wollen, wie sie sind. Genau das ist ja einer der wichtigsten positiven Aspekte in der niederschwellig-akzeptierenden Suchthilfe: Wir bohren nicht unerwünscht nach oder wollen auf etwas Bestimmtes hinaus, etwa im Sinne von: »Du musst dich aber eigentlich in Behandlung begeben.« Stattdessen bleibt der Zustand der einzelnen Klient*in erst mal so stehen, wie er ist. Das ist auch aus einem anderen Grund wichtig: Um überhaupt weitergehende Hilfe anzubieten, muss das Hilfesystem auch die nötigen Kapazitäten und Möglichkeiten für Unterstützung haben. Tatsächlich sind die Hilfeangebote, die es gibt, häufig sehr starr strukturiert. Wenn jemand etwa sehr stark psychisch auffällig ist, machen wir immer wieder die Erfahrung, dass schon die medizinische Versorgung extrem problematisch ist. Menschen werden zum Beispiel im Krankenhaus nicht adäquat behandelt oder auch einfach weggeschickt. Für uns, die wir in diesem Umfeld arbeiten, ist der Umgang mit all dem Alltag. Wir haben es regelmäßig mit Menschen zu tun, die psychisch auffällig sind, die zum Teil auch wahnhaftes Verhalten zeigen. Das ist dann oft genau das, was vielen Menschen im öffentlichen Raum begegnet, was auf Unverständnis stößt oder auch Angst macht. Aber auf der anderen Seite sehen wir eben täglich die Nöte dieser Menschen, die aus diesem Teufelskreis nur schwer herauskommen – oder manchmal auch gar nicht. Es ist ein enorm komplexes Zusammenspiel von psychischer Belastung, Sucht, Ausgrenzung und fehlender Unterstützung. Und viele Betroffene erhalten schlichtweg nicht die Hilfe, die sie brauchen oder selbst wünschen.

Hier verbessern sich die Bedingungen gerade keineswegs. Ich finde, die sozio-politischen Rahmenbedingungen lassen sich gut als »rechte Sozialpolitik« beschreiben. Können Sie mit dem Begriff etwas anfangen?

In unserer praktischen Arbeit vor Ort erleben wir bislang eher wenig Veränderung, zumindest was direkte Ablehnung aus der Zivilgesellschaft betrifft. Natürlich gibt es beispielsweise am Leopoldplatz immer schon Stimmen, die sich gegen unsere Arbeit oder gegen die dort sichtbare Szene aussprechen. Es ist ein ständiges Aushandeln zwischen ordnungspolitischen Maßnahmen, den Interessen der Anwohnenden und unseren Angeboten. Aber hier gilt auch: Wir haben ja durchaus Verständnis für bestimmte Anliegen der Anwohner*innen. Wenn beispielsweise Hausflure regelmäßig verdreckt sind, ist das nachvollziehbarerweise für die Leute ein Problem. Aber wirkliche Lösungen für diese Probleme stehen schlicht nicht zur Verfügung; hier wird nichts ursächlich angegangen, sondern es wird versucht, die Symptome zu verschieben oder zu verstecken. Stattdessen müsste man Wege finden, besser mit der Situation umzugehen – also Orte schaffen, an die Menschen ausweichen können, wo sie schlafen dürfen, wo sie nicht ständig verdrängt werden. Nur dann kann es echte Veränderung geben. Aber noch mal zur »rechten Sozialpolitik«: Ich würde trotzdem sagen, dass das auch bei uns ein Thema ist. Stark marginalisierte Gruppen – wie eben auch unsere Nutzer*innen – sind ja von dieser Entwicklung besonders betroffen, weil sie oft gezielt in bestimmten Narrativen auftauchen, die gesellschaftlich Zustimmung finden. Rechtsruck, populistische Politik – das bedeutet im Umkehrschluss auf jeden Fall mehr Stigmatisierung: »Die Leute sind doch selbst schuld an der Situation, sollen halt aufhören zu konsumieren« oder Ähnliches wird da verbreitet. Und genau mit solchen Aussagen spielen natürlich die Rechten, mit dem Ziel, sich letztlich um eine bestimmte Menschengruppe auch einfach nicht mehr kümmern zu müssen. Ich komme ursprünglich aus Bayern, und da sieht man ganz deutlich, wie konservative Politik mit dem Thema Drogengebrauch umgeht. Da wird einfach gesagt: »Das gibt es hier nicht« oder: »Das betrifft nur eine ganz kleine Gruppe von Leuten, die das heimlich irgendwo im Keller machen – und die sind auch selbst schuld.« Aber das entspricht nicht der Realität.

Aber lässt sich diese Leugnung nicht irgendwann an der sichtbaren Realität messen? Ich frage mich, was eigentlich der Horizont dieser rechten Politik ist – ist das wirklich nicht weiter gedacht, als die Leute von einem Ort zum nächsten zu verdrängen? Diese Menschen hören ja nicht auf zu existieren.

Ich glaube, es hat tatsächlich viel mit dem Prinzip »Aus den Augen, aus dem Sinn« zu tun. Wenn man sich mit dem Thema allgemein nicht beschäftigt und einem vielleicht auch der Blick dafür fehlt, dass es sich bei Sucht, Wohnungslosigkeit und Armut um soziale und strukturelle Probleme handelt, dann ist einem womöglich einfach am wichtigsten, dass der – ich benutze das Wort jetzt bewusst – »Junkie« eben nicht vor der eigenen Haustür konsumiert. Außerdem geht es bei Verdrängung und Repression sicher auch um Symbolpolitik, um einen einfachen Hebel, der nach außen hin sichtbar macht: »Wir tun etwas.« Man braucht einen Schuldigen, eine Idee, irgendetwas Greifbares – und die einfachste Lösung ist dann ein Verbot, eine ordnungspolitische Maßnahme. Also zum Beispiel: Wir umzäunen jetzt den Park, wie gerade in Berlin-Kreuzberg.

In den Fahrzeugen von Fixpunkt e.V. ist Drogenkonsum unter pflegerisch-medizinischer Aufsicht möglich.
In den Fahrzeugen von Fixpunkt e.V. ist Drogenkonsum unter pflegerisch-medizinischer Aufsicht möglich.

Es ist tatsächlich ein Charakteristikum rechter Weltanschauungsmodelle, dass sie inkohärent sind. Sie bestehen eher aus zusammengewürfelten Versatzstücken – sozialchauvinistischen, rassistischen, autoritären Fragmenten, die kein stimmiges Gesamtbild ergeben. Vielleicht passt das auch auf die Sozialpolitik der CDU in Berlin, zum Beispiel. Ist Fixpunkt eigentlich betroffen von den Kürzungen des rot-schwarzen Senats?

Ja, sind wir. Zum Jahresende werden Maßnahmen beendet, die beim sogenannten Sicherheitsgipfel beschlossen worden waren. Projekte, die in den vergangenen Jahren neu geschaffen oder mit zusätzlichem Personal und längeren Öffnungszeiten ausgestattet wurden, müssen zurückgefahren werden. Wie es mit den geschaffenen Maßnahmen weitergeht, ist derzeit völlig unklar. Hier stellt sich natürlich die Frage, wie qualitativ hochwertig unsere Arbeit unter solchen Bedingungen überhaupt noch sein kann. Allgemein würde ich sagen, dass es im sozialen Bereich und gerade in der niedrigschwelligen, akzeptierenden Drogenarbeit bereits vor den Kürzungen deutlich zu wenige Angebote gab – bei gleichzeitig sehr vielen betroffenen Menschen. Das ist ja eine wachsende Gruppe, entsprechend hatten wir 2023 die höchste Anzahl von Drogentodesfällen seit vielen Jahren. Alle Statistiken zeigen deutlich, dass das Problem nicht kleiner wird, im Gegenteil. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Thema Drogenkonsum in den nächsten Jahren bei uns noch weiter zunimmt, ist deutlich höher als die Hoffnung, dass es zurückgeht. Wenn man in die USA blickt, sieht man ja, was für Dimensionen das annehmen kann.

Seit einiger Zeit nimmt der Crack- gegenüber dem Heroinkonsum stark zu, oder? Hat das Auswirkungen auf den Alltag bei Fixpunkt?

Ja, der Crackkonsum steigt derzeit deutschlandweit stark an. Das hat definitiv Auswirkungen. Die bestehenden Angebote müssten angepasst werden; zum Beispiel braucht es Tagesruhestätten, also Orte, an denen die Leute wirklich zur Ruhe kommen, sich mal hinlegen können, nicht ständig auf der Straße sein und dem Konsum hinterherjagen müssen. Denn Crack hat körperlich und psychisch deutlich gravierendere Auswirkungen als Heroin. Ich würde sagen, die Konsument*innen »wirtschaften sich« bei Crack viel schneller herunter als bei anderen Substanzen.

Es ist ein Ziel der Rechten, sich letztlich um eine bestimmte Menschengruppe einfach nicht mehr kümmern zu müssen.

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Noch mal Stichwort Rechtsruck: Hat sich die Gewalt, der die Leute auf der Straße ausgesetzt sind, verändert oder verstärkt?

Natürlich ist mir bewusst, dass unsere Nutzer*innen ohnehin stark stigmatisiert sind und sicher auch immer mal wieder etwas Blödes zu hören bekommen. Aber ich kann nicht beurteilen, inwiefern sich das durch den Rechtsruck tatsächlich verschärft hat. Wenn Leute schnorren oder irgendwie Geld machen, kommt schnell mal so etwas wie: »Geh doch mal arbeiten« oder: »Du bist doch ein Sozialschmarotzer.« Was definitiv zunimmt, sind die Gewalttaten gegenüber Obdachlosen – das zeigen Erhebungen etwa vom RBB oder von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.

Abschließend noch eine grundsätzliche Frage: Wie erleben Sie das Spannungsfeld zwischen politischem Aktivismus und Lohnarbeit?

Ich persönlich glaube, dass Sozialarbeit immer auch politisch ist, und zwar progressiv orientiert – das liegt in der Natur der Sache. Denn das Gegenmodell ist oft eine rechte, autoritäre oder rein ordnungspolitische Haltung, die Hilfen abschaffen will. An manchen Tagen kann sich die Arbeit tatsächlich so anfühlen, als würde man letztlich nur Elend verwalten. Aber ich sehe auch, dass wir mit unserer Arbeit für einzelne Menschen einen echten Unterschied machen können, und das ist wichtig. Unser Anspruch ist es, Menschen zu unterstützen, wo sonst niemand da ist. Letztlich halten wir natürlich das System so, wie es ist, auch mit aufrecht. Und trotzdem ist unsere Hilfe real – wir können in vielen Situationen tatsächlich das Überleben unserer Nutzer*innen sichern. Aber strukturell müsste noch viel mehr passieren.

Im kanadischen Vancouver organisieren sich Drogenkonsument*innen selbst politisch, gemeinsam mit anderen Linken. Ist so etwas hier auch vorstellbar?

Es gibt schon Selbstorganisation, etwa den JES-Verbund – das steht für »Junkies, Ehemalige und Substituierte«. Aber es stimmt: Diese Form von politischer Selbstorganisation ist in Deutschland, gerade im Alltag, kaum denkbar. Auch weil die Arbeit selbst oft so fordernd ist. Niedrigschwellige soziale Arbeit ist belastend und kräftezehrend – da bleibt für viele kaum Raum für zusätzliches politisches Engagement. Eigentlich müssten die aktuellen Verhältnisse dazu führen, dass viel mehr Menschen auf die Straße gehen und sagen: So wollen wir nicht leben – nicht auf dem Rücken der Schwächsten. Aber genau das passiert eben viel zu selten. Und es würde voraussetzen, dass nicht nur eine Stellvertreterpolitik betrieben wird, sondern auch die Betroffenen selbst sich ermächtigen und Gehör finden. Das wäre eigentlich der Anspruch.

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