»Rüstungsausgaben dürfen nicht über allem stehen«

Der rumänische Gewerkschaftspräsident Florian Marin fordert Ausgewogenheit und soziale Sicherheit vom EU-Rat

  • Interview: Dieter Reinisch, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Soziale Lage der EU – »Rüstungsausgaben dürfen nicht über allem stehen«

Herr Marin, Sie sind Mitautor einer Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), in der es heißt: »Der EWSA unterstützt eine umfassende und inklusive europäische Verteidigungsstrategie, mit der die Verteidigungsbereitschaft um die zivile Krisenvorsorge ergänzt wird.« Was ist damit gemeint?

Basierend auf der aktuellen geopolitischen Lage ist es nicht nur eine Notwendigkeit, sondern eine moralische Verpflichtung für die Gesellschaft, vorbereitet zu sein. Wir alle müssen uns für schwierige Zeiten wappnen. Was wir in der Stellungnahme betonen, ist, dass die Ausgaben im Rüstungsbereich und für die Militärindustrie nicht über allem zu stellen sind. Sonst kommen wir an einen Punkt, an dem wir Raketen, aber kein Vertrauen in die EU haben. Es braucht einen ausgewogenen Ansatz.

Wie kann das gelingen, wenn die Politik so viel Geld für die Rüstung als nötig erachtet

Der EWSA hat eine konsultative Stellung und unsere Berichte und Kommentare werden gehört. Es gibt derzeit diesen ausgewogenen Ansatz nicht, darauf werden wir hinweisen. Schauen wir uns mein Land Rumänien an. Es hat ein Defizit von 80 Prozent und gibt dennoch viel für das Militär aus. Es ist die moralische Pflicht, dass die Kosten nicht auf die ärmsten Regionen und Menschen abgeladen werden können, sondern auf alle Schultern verteilt werden müssen. Doch stattdessen treffen die Sparmaßnahmen der rumänischen Regierung nur die untersten Schichten. Vor allem in den östlichen Staaten ist es zentral, dass die Sozialausgaben nicht gekürzt werden, denn sonst werden die Menschen den Glauben an Europa verlieren.

In Ihrer Stellungnahme ist auch zu lesen, dass das Renewal-2030-Programm, das die EU-Aufrüstung inkludiert, komplementär zum Europäischen Sozialfonds sein soll.

Der EU-Finanzplan für die Jahre 2028–2034 ist ein riskanter Vorschlag. Die Verteidigungsindustrie ist eine Industrie wie jede andere, die ausgebildete Arbeiter benötigt. Europa hinkt hier weit hinterher. Es muss auch Investitionen in die Ausbildung von Arbeitern geben und die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden.

Ein schwieriges Thema sind Handelsabkommen, doch das muss in Angriff genommen werden, genauso wie die Bindung der Aufträge an die Rüstungsindustrie an die sozialen Beziehungen.

Aber gleichzeitig sehen wir eine Unterminierung von Arbeiterrechten in ganz Europa. Zuletzt wurde in Griechenland ein 13-Stunden-Arbeitstag eingeführt.

Die entscheidende Frage sind die Tarifverträge in den Mitgliedsländern. In diesem Rahmen muss sich der EWSA einbringen, um Arbeiterrechte in ganz Europa zu verteidigen. Das geht aber nur mittels unserer Werkzeuge: Stellungnahmen und öffentliche Konsultationen. Die EU fordert Wettbewerbsfähigkeit. In diese Kriterien müssen auch Arbeitsrechte eingebaut werden. Nur wenn Arbeiter geschützt werden, wird es keine Abwanderung hoch qualifizierter Fachkräfte geben, sondern soziale Stabilität.

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