Urbane Mitte in Berlin-Kreuzberg: »Das ist Goliath gegen David«

Medienanwalt Michael Schmuck über den Gerichtsprozess zur Urbanen Mitte

  • Interview: Günter Piening
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Gleisdreieck in Kreuzberg soll ein Hochhaus-Ensemble entstehen.
Am Gleisdreieck in Kreuzberg soll ein Hochhaus-Ensemble entstehen.

Welche Bedeutung hat das Verfahren Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. gegen Matthias Bauer für Berlin?

Presse- oder äußerungsrechtlich ist das aus meiner Sicht die Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung zur Meinungsäußerung. Rechtlich hat das Urteil also keine außergewöhnliche Bedeutung; es war so zu erwarten. Was das Hochhausprojekt betrifft, so ist das Urteil natürlich von ganz erheblicher Bedeutung: Kritiker, vor allem aber eine kleine Bürgerinitiative, dürfen weiterhin öffentlich das Projekt mit berechtigten Argumenten angreifen. Die Kritiker müssen also nicht befürchten, dass ein finanzstarker Investor ihnen bei ihren Einschätzungen und Bewertungen des Projekts juristisch den Mund verbieten lässt.

Ist Ihnen in Berlin ein Fall bekannt, in dem ein Unternehmen mit einer solchen Klage durchgekommen ist?

Ist mir nicht bekannt, kann es aber geben. Man kann solche Fälle auch deshalb nicht kennen, weil viele Betroffene gleich einknicken – Unterlassungserklärungen unterschreiben, damit sie ebendieses Risiko nicht tragen. Was außergerichtlich geregelt wird, wird ja nicht veröffentlicht und bleibt unbekannt.

Interview

Michael Schmuck ist Anwalt und Journalist. Als Gerichtsreporter arbeitete er mehrere Jahre für die »Berliner Zeitung«, später begann er eine Karriere als Anwalt für Medienrecht. Schmuck gibt Seminare für Medienschaffende zu presserechtlichen Fragestellungen.

Wo verläuft denn die Grenze zwischen freier Meinungsäußerung und berechtigtem Schutz vor Falschbehauptungen?

Wenn ich sage: Er hat mich bedroht, dann ist das eher die Behauptung einer Tatsache. Wenn ich aber sage: Ich fühlte mich von ihm bedroht, ist das eine Meinungsäußerung. Und da sieht man, wie fein diese Unterschiede sind. In unserem Fall ist es zudem so, dass die Meinung auf Tatsachen aufgebaut ist. Wenn es heißt: Das verstößt gegen Denkmalschutz, und ich kann dazu Fakten liefern, warum ich dieser Meinung bin, dann ist es eben eine Meinung – selbst wenn der Denkmalpfleger sagt, aus seiner Sicht sei alles in Ordnung.

Was empfehlen Sie bedrohten Initiativen? Wie kann man sich am besten darauf vorbereiten oder eine Klage verhindern?

Das Beste ist, alles von einem erfahrenen Juristen oder einer Juristin lesen zu lassen, bevor man damit an die Öffentlichkeit geht. Dann ist das Risiko stark gemindert. Das heißt aber noch nicht – wie in unserem Fall –, dass es nicht doch eine Klage gibt. Diese Klagen sind ja meist erst einmal unabhängig von den Erfolgsaussichten. Das sieht man auch an dem parallel laufenden Verfahren gegen den Rechtsanwalt Professor Beckmann, der für den Bezirk ein Gutachten zur Nichtigkeit des Rahmenvertrags zur Urbanen Mitte erstellt hat. Schon dreimal hat der Investor eine Schlappe erlitten – und er macht trotzdem weiter. Das sieht dann schon nach einer SLAPP-Klage aus. Vor allem, wenn man wie hier nach verlorenem Eilverfahren bei demselben Gericht, bei denselben Richtern, noch einmal versucht, in derselben Sache doch noch recht zu bekommen.

Na ja, hier geht es immerhin um mehr als 100 Millionen …

Klar, wenn jemand Millionen hat, also genug Geld, um zu klagen, dann macht der das wohl gern. Aber wenn eine Initiative auch politisch aktiv ist und die verantwortlichen Politiker sehen, was läuft, dann ist das schlecht fürs Image, wenn man Klagen eher aussichtslos durchzieht. Allerdings: Vor Gericht weiß man ja nie

Das Bündnis No SLAPP sagt: Wenn ein millionenschweres Unternehmen gegen eine kleine Initiative klagt, dann liegt der Anfangsverdacht einer SLAPP-Klage vor.

Absolut. Das ist Goliath gegen David. Da klagt jemand mit großem Kapital, der offenbar vor allem ein Interesse hat, kleine Initiativen mundtot zu machen. Aber es kann auch gegen Große wie Greenpeace gehen. Juristisch bleibt aber ein Problem: Wie soll das Gericht vorab prüfen, ob die Klage offensichtlich unbegründet oder gar unzulässig ist? Und gegen eine solche Zurückweisung wird es dann wieder Rechtsmittel geben. Es bleibt also eine Grauzone – und wer viel Geld einsetzt, findet viele Möglichkeiten, Verfahren lange laufen zu lassen.

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