Polen: Alter Wein in neuen Schläuchen

Donald Tusk auf dem Weg zu einer polnischen Demokraten-Partei

  • Holger Politt, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit der Parteineugründung zielt Polens Premier Donald Tusk auf Parlamentswahlen im Herbst 2027, bei denen er seinen Posten verteidigen will.
Mit der Parteineugründung zielt Polens Premier Donald Tusk auf Parlamentswahlen im Herbst 2027, bei denen er seinen Posten verteidigen will.

Vor knapp 25 Jahren wurden in Polen zwei bürgerliche Parteien gegründet: die Bürgerplattform (PO) einerseits und zum anderen die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die PO gab sich betont liberal, wiewohl konservativ geerdet; PiS war erzkonservativ, wobei vor allem Patriotismus wie Nationales hochgehalten wurden.

Beide Parteien hatten starke Wurzeln in der legendären Solidarność-Bewegung, einig waren sie sich noch immer in ihrer strikten Ablehnung der Volksrepublik Polen. Seit nunmehr 20 Jahren bestimmen und kontrollieren die beiden Parteien das politische Leben in Polen fast vollständig, sei es in der Opposition, sei es in der Regierung. Kinder des 21. Jahrhunderts kennen gar keine andere politische Position, die an die Macht gelangen könnte, denn spontane Ausreißversuche – egal ob rechts, links oder in der Mitte – wurden schnell wieder eingeholt.

Nun hat sich die PO aufgelöst, ein wohlkalkulierter Schritt von Ministerpräsident Donald Tusk.

Bürgerplattform und PiS zuletzt gleichauf

Bis zuletzt sind PO wie PiS in ihrem Wählerzuspruch ziemlich gleich stark geblieben, die Wählerpotenziale halten sich die Waage – es kommt bei der Entscheidung auf Faktoren wie Mobilisierung und Koalitionsmöglichkeiten an.

Gut zu sehen war das im Herbst 2023, als es der Tusk-Partei bei den Parlamentswahlen gelang, mittels eines breiten und im Kern liberalen Bündnisses – das herausfordernd von links-alternativ bis gemäßigt konservativ gestreckt war – das eigene Potenzial auszureizen, um an die Regierungsmacht zu gelangen. Im Sejm, der entscheidenden Abgeordnetenkammer, bildete sich die Fraktion Bürgerkoalition (KO) als Rückgrat der Regierung.

In der KO gab die PO zwar die Richtung vor, im Schlepptau aber auch einige Kleinparteien, die sich liberaler oder linksliberaler verstanden, dennoch ohne Chancen waren, selbstständig ins Parlament zu kommen.

Bürgerkoalition soll Bürgerplattform ersetzen

Statt der jetzt aufgelösten Bürgerplattform soll künftig die Bürgerkoalition das Parteiengeschäft betreiben; mitsamt der alten Tusk-Partei verschwinden nun die liberale Moderne und die linksliberale Polen-Initiative von Barbara Nowacka von der politischen Bühne. Der Weg ist frei, um die wichtigste Regierungspartei stärker auszurichten auf eine Rolle, die nicht ganz zufällig an die der Demokraten im politischen System der Vereinigten Staaten erinnern soll. Die Neuausrichtung ist weniger taktischer, sie ist strategischer Natur.

Der Schock der verlorenen Präsidentschaftswahl vom Frühjahr ist verdaut, man schaut im Tusk-Lager den Realitäten ins Auge, denn große Sprünge auf der Regierungsbank sind mit einem Präsidenten aus dem feindlichen politischen Lager im Rücken kaum zu erwarten. Alles wird nun ausgerichtet auf die Parlamentswahlen im Herbst 2027 – das um Tusk gescharte Regierungslager ist fest gewillt, seine Position zu verteidigen.

Dazu braucht es neben den 30 bis 35 Prozent Wählerstimmen, über die die KO nach heutigem Stand sicher verfügt, jeweils knapp 10 Prozent auf der linken und auf der konservativen Flanke. Links ist das Potenzial aktiviert, wenngleich die beiden Parteien dort – Nowa Lewica und Razem – wieder in der einen oder anderen Weise zusammenfinden müssten, um nicht ein beiderseitiges Scheitern an der Prozenthürde zu riskieren.

Konservative im Regierungslager schwächeln

Doch die konservative Flanke im Regierungslager – die 2023 immerhin stolze 14,4 Prozent der abgegebenen Stimmen beigetragen hatte – ist zerstritten und in Teilen zusammengefallen. Hier sind die Auswirkungen des Frühjahrsschocks unverkennbar, doch damit fielen, wenn es so bliebe, für das Regierungslager wertvolle Positionen weg.

Die konservative Flanke ist wichtig auf dem flachen Land, wo die großstädtische Tusk-Partei kaum einen Zugang hat; sie ist wichtig in dem belasteten Verhältnis zur katholischen Kirche, hat diese sich in ihrem vorherrschenden antiliberalen Grundverständnis nach 2015 doch weitgehend auf die PiS-Seite geschlagen.

Die Gründung einer neuen, im Kern liberalen Machtpartei ist ein klarer Appell an die Koalitionspartner: Haltet eure Reihen zusammen! Vermeidet gefährliche, egoistische Alleingänge, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

Und auch auf der rechten Seite ist das Tusk-Manöver verstanden worden. Dort rüstet man sich bereits zu einer tragfähigen Koalition zwischen den um PiS-Chef Jarosław Kaczyński gescharten Nationalkonservativen und den Nationalisten rechts davon. Den bisherigen Alleinvertretungsanspruch hat PiS aufgegeben; jetzt wird von einem gemeinsamen »patriotischen Lager« gesprochen, das man aber führen wolle.

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