Der neue Goldrausch am Amazonas

Zwischen Manaus und Santarém zerstört der Goldabbau ganze Landstriche – und vergiftet Flüsse, Wälder und Menschen

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Bagger der Goldgräber dringen immer tiefer in den Regenwald ein und zerstören, wie hier in São Félix do Xingu im Bundesstaat Pará, das sensible Ökosystem.
Die Bagger der Goldgräber dringen immer tiefer in den Regenwald ein und zerstören, wie hier in São Félix do Xingu im Bundesstaat Pará, das sensible Ökosystem.

Am Kai von Manaus herrscht hektisches Treiben. Gepäckträger wuchten Säcke, Kisten und Reisetaschen an Bord der »Estrela«, eines dreistöckigen Flussdampfers, der die größte Stadt des Amazonas mit der zweitgrößten verbindet: Santarém. Rund 880 Kilometer flussabwärts, 30 Stunden Fahrt, liegen zwischen den beiden Städten.

An Bord einer Amazonasfähre, die neben Menschen vor allem Fracht transportiert, ist es meistens eng. Hunderte von Metallhaken, an denen die Passagiere ihre Hängematten aufhängen, zeugen davon. Doch an diesem Tag sind kaum mehr als ein Drittel belegt. Der Abstand zwischen den Hängematten ist großzügig. Eine Handvoll Duschen und Toiletten teilen sich die Passagiere auf jedem Deck. Doch heute dürfte das kein Problem sein, denn statt der üblichen tausend Passagiere sind nur 300 bis 400 Menschen an Bord des Schiffes von Kapitän Jorge Miranda. Der steuert seit mehr als zehn Jahren Fracht- aber auch Passagierschiffe auf dem Amazonas zwischen Manaus und der Hafenstadt Belém, wo er lebt und zwischen dem 6. und 21. November die UN-Klimakonferenz stattfindet.

Amazonas & Auswege

Am 6. November startet in Brasilien die 30. Weltklimakonferenz – mitten in einer Region, in der der Amazonasregenwald dramatisch schrumpft. In fünf Teilen hat unsere Serie das Ausmaß der Zerstörung beleuchtet und Wege zu nachhaltiger Nutzung aufgezeigt.

Mehr als 1600 Kilometer liegen zwischen dem quirligen Manaus und dem Mündungsdelta. Auf die Konferenz hofft Miranda, denn die Veränderungen um und auf dem Amazonas sind spürbar: »Der Wasserpegel sinkt früher als sonst, das Wasser wird knapper, die Hitze nimmt zu«, sagt der Kapitän und behält den Steuermann im Blick, der die »Estrela« aus dem Hafen manövriert. »Die Politik muss endlich handeln«, fordert er wenig später auf der Brücke. »Die Behörden müssen kontrollieren, wer den Wald abbrennt – und sie bestrafen.« Dann lässt er den Blick über die Wälder am Ufer schweifen, die sich wie ein Teppich ausbreiten

Nur selten sind dort noch wirkliche Riesen des Regenwaldes zu sehen, die wie die Kapok- oder Shihuahuaco-Bäume 60 Meter und höher werden. Die meisten seien zumindest in Ufernähe längst der Holzmafia zum Opfer gefallen, erklärt Denis Santos, der sich auskennt im Regenwald um Manaus. Ein paar Bootsstunden von der Großstadt entfernt arbeitet der kräftige Mann, Anfang 40, im Urwald in einem Bergbaucamp als Baggerführer.

Fördercamps im Urwald

Wir stehen auf dem Oberdeck des Schiffes, wo ein kleiner Kiosk Snacks und Getränke anbietet, Musik läuft und ein paar weiße Plastiktische zum Verweilen einladen. Zehn Tage sitzt Santos meist in der Kabine eines Baggers, genießt dann eine Woche Urlaub zu Hause in Santarém, wo er angeln geht, erzählt er lachend. Legal mit Umweltlizenz und Konzession sei sein Arbeitgeber im Einsatz, den Namen des Unternehmens will er dennoch partout nicht preisgeben.

Nicht ungewöhnlich in Brasilien, wo der Bergbau in den vergangenen Jahren vor allem dank der Förderpolitik von Ex-Präsident Jair Bolsonaro einen immensen Aufschwung erfahren hat. Der wegen seines Putschversuchs zu 27 Jahren Haft verurteilte Bolsonaro hatte den Goldgräbern grünes Licht für die Ausbeutung der Vorkommen in der Amazonasregion erteilt. Seither sind die Erträge vom Goldabbau in ganz Brasilien, wovon mindestens zwei Drittel illegal gefördert werden, um satte 54 Prozent gestiegen.

Jahrelang scherten sich die Behörden nicht darum – kein Zufall: Die Regierung Bolsonaro kürzte den Kontrollbehörden radikal die Budgets. Die Inspektionsteams aus Arbeits- und Umweltministerium konnten kaum noch ausrücken. Obendrein wurden leitende Führungskräfte oft durch Militärs ersetzt. Das hat spürbar dazu beigetragen, dass neue Abbaugebiete vor allem in indigenen Gebieten und Naturschutzarealen entstanden.

Ob Santos selbst in einem der Goldcamps am Bagger sitzt, will er nicht sagen. Nur so viel: Unfälle habe es gegeben, und die Arbeit sei alles andere als ungefährlich. Vor einigen Monaten, erzählt er, sei der Damm eines Rückhaltebeckens gebrochen. Der giftige Schlamm habe sich mit solcher Wucht in den Fluss ergossen, dass ein Kollege von der braunen Flut mitgerissen wurde. Santos spricht leise, fast so, als wolle er die Worte zurückhalten.

Er und mehrere Kollegen haben versucht, den Mann zu bergen. Aber sie griffen immer wieder ins Leere. Dann wurde die Situation für sie selbst gefährlich, und sie gaben auf. »Danach habe ich den Arbeitgeber gewechselt«, sagt Santos. Er ist sich sicher, dass alles rund um die Unfallstelle verseucht ist. Doch von dem Unfall und dessen Tragweite findet sich in der lokalen, der regionalen und auch der nationalen Presse nichts.

Quecksilber in der Nahrung

Kritische Berichterstattung gibt es nicht überall in Brasilien. Die Amazonasregion wird laut Presse- und Nichtregierungsorganisationen wie »Reporter Brasil« besonders schlecht mit Informationen versorgt. Denis Santos zuckt mit den Schultern: Er weiß, dass er einen brisanten Job macht, der den Regenwald als wichtige natürliche Ressource schädigt. »Gute Jobs sind in der Amazonasregion rar«, sagt er leise. Auf die Bitte um ein Foto winkt er ab und geht runter zu seiner Hängematte.

Die Folgen dieses oft illegalen, manchmal halblegalen und immer wieder auch legalen Bergbaus sind gravierend, wie das Beispiel Brumadinho zeigt. In der Kleinstadt im Bundesstaat Minas Gerais, weiter südlich im Land, zerbarst am 25. Januar 2019 der Damm einer Eisenerzmine, der gerade erst vom deutschen TÜV-Süd überprüft worden war. Eine hochgiftige Schlammlawine ergoss sich über die Mine und die Häuser der Umgebung. 270 Menschen starben, der Fluss Paraopeba und das umgebende Ökosystem wurden weitgehend zerstört.

Ein solch gravierendes Unglück hat es in der Amazonasregion bisher nicht gegeben. Aber vor allem der Gold- und der Bauxitabbau setzen der Region zu. Das belegen auch Studien zur Quecksilberverseuchung der Flüsse im Amazonasbecken, durch die mehrere indigene Völker wie die Yanomami, Munduruku und Kayapó gefährdet sind. Quecksilber kann neurologische Fehlbildungen bei Babys verursachen oder auch zu giftigen Schocks führen wie bei Irene Munduruku.

Die Frau lebt am Rio Tapajós, keine hundert Kilometer von Santarém entfernt. Eines Tages konnte sie plötzlich weder Arme noch Beine bewegen, nicht sprechen, nicht einmal ihre Augen öffnen. Ärzte stellten bei ihr eine extrem hohe Quecksilberkonzentration im Blut fest. Die Spur des Giftes führte zu einem illegalen Goldcamp in der Nähe. Dort wird Quecksilber eingesetzt, um das Edelmetall aus dem Schlamm zu lösen – das flüssige Metall bindet das Gold und macht es leichter, es auszusieben. Doch fast immer entweicht der hochgiftige Stoff in die Umwelt. Er verdampft schon bei etwas mehr als 39 Grad Celsius, setzt sich im Wasser ab, vergiftet Fische – und gelangt so in den Körper der Menschen. Im Amazonasbecken geschieht das besonders schnell. Hier essen die Menschen im Schnitt rund 40 Kilogramm Fisch pro Jahr – deutlich mehr als im Rest Brasiliens. Und mit jedem Bissen gelangt ein wenig mehr des Nervengifts in ihren Körper.

Das wissen auch viele der Goldgräber, die zu Tausenden im Bundesstaat Pará aktiv sind. Darunter auch ein drahtiger Mann, der sich als Antonio vorstellt. Er ist per Fähre auf dem Weg nach Santarém. In der weiteren Umgebung der Stadt schürft er in einem Camp nach Gold. Mehr will er an diesem späten Nachmittag auf dem Oberdeck, während er für die Dauer eines Biers Pause macht, nicht preisgeben. Klar ist, dass er nicht zum Fußvolk einer derartigen Mine zählt, sondern zur qualifizierten Belegschaft, die besser verdient und genau weiß, was sie tut.

Der hohe Goldpreis und die starke Lobby im brasilianischen Parlament befeuern die Ausbeutung des Amazonasbeckens. Fragen nach der Legalität des Abbaus oder den Folgen für die Umwelt verhallen meist – oder werden gar nicht gestellt. Die Nachfrage nach dem gelben Metall ist groß. Abnehmer sitzen in Hongkong, Dubai, Italien oder in der Schweiz. Selten interessiert sich jemand dafür, woher das Gold stammt – und unter welchen Bedingungen es gefördert wurde.

Ein Mitreisender auf dem Schiff kann das bestätigen. Er stammt aus Venezuela, ist Geologe und arbeitet seit anderthalb Jahren für verschiedene Schürfunternehmen. »Man muss seine Chance nutzen«, sagt er. Er spricht offen, will aber anonym bleiben. Seine Arbeit wird gut bezahlt: 12 000 US-Dollar verdient er im Monat. »Jetzt, wo die Kontrollen zunehmen«, sagt er mit einem breiten Grinsen und beginnt, seine Hängematte zusammenzupacken. In 20 Minuten soll die »Estrela« in Santarém anlegen. Für ihn geht es dann weiter – direkt in eine potenzielle Förderregion, wo er ein Unternehmen beraten soll, wie sich das Edelmetall am effizientesten fördern lässt.

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