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  • »Babo – Die Haftbefehl-Story«

Haftbefehl: Alle reden von Koks, wir nicht

Das nd-Feuilleton sucht den Literaten im Rapper Haftbefehl

  • nd-Feuilleton
  • Lesedauer: 7 Min.
Offenbach - Frankfurt - Netflix: Porträt des Künstlers als junger Rapper.
Offenbach - Frankfurt - Netflix: Porträt des Künstlers als junger Rapper.

Seit die Doku »Babo« auf Netflix zu sehen ist, reden alle über den exzessiven Drogenkonsum von Haftbefehl. Aber warum spricht keiner mehr über die früher hochgelobten Texte des Offenbacher Rappers? Das nd-Feuilleton lädt ein zur Gedichtanalyse und sucht den Literaten im Gangsta.

Ring-ring macht das Telefon: »069« vom Mixtape »Unzensiert« (2015)

Überschwänglich gelobt wurde Hafti - von der aufgeschlossenen Germanistikstudentin bis zum Qualitätsfeuilleton der Qualitätsmedien waren alle dabei unter den Claqueuren – seiner »codierten« Texte wegen. Ganz verdichtet eben. Ein literaturbeflissenes Publikum mit großer akustischer Toleranz hat sich also herangewagt an die Palimpseste aus der Offenbacher Platte und sie für gut befunden.

Wenn ich nun »069«, diese inoffizielle Hymne der provinziellen Mainmetropolenregion, höre, tue ich das mit einem Augenmerk auf diese Codes, auf die Chiffren und Symbole in dem nuschelnd herausgepressten Text. So wie mir mancher Vers von Hölderlin in seinem ganzen Sinn verborgen bleibt, so bleibt mir auch bei dieser Hörerfahrung einiges unklar. Was Azzlacks sind, das weiß ich nicht.

Wenn Hafti rappt, dass er sich am »Yarak« kratzt, muss man immerhin nicht erst Türkisch lernen, damit in einem der Wunsch erwächst, er möge sich doch wenigstens anschließend die Hände waschen. Auch die titelgebende Vorwahl für Frankfurt und Offenbach macht es dem Hörer beim Enträtseln vergleichsweise einfach.

Weniger codiert, offen menschenfeindlich fragt der Musikant, ob jemand »behindert« sei und rät dem geneigten Hörer: »Fick ihre Mütter, verpass ihnen Narben!« Und gleichsam eher prosaisch-direkt lässt er wissen: »Rothschild-Theorie, jetzt wird ermordet«. Man ahnt, dass das bisschen Koks vielleicht das geringste Problem dieses Mannes ist. Aber es wird schon ein halbgebildeter Depp um die Ecke kommen, der auch das für sozial engagierte Lyrik hält.  Erik Zielke

Autogenes Training: »Gestern Gallus – heute Charts« vom Album »Azzlack Stereotyp« (2010)

Albert Mangelsdorf, Jürgen Grabowski, Sven Väth und Aykut Anhan als Haftbefehl – die großen Künstler aus Frankfurt am Main? Hm, Grabowski kommt aus Wiesbaden und Väth und Haft kommen aus der Nachbarstadt Offenbach. Die ist viel kleiner und ärmer und konsequent hässlich über ein Autobahnkreuz angeschlossen. Nur Frankfurt zählt. So wie es Haftbefehl in seinem intertextuellen Chabo-Babo-Signature-Song von 2012 formuliert hat: »Pussy, muck bloß nicht uff hier, du Rudi/ Nix mit Hollywood, Frankfurt, Brudi«.

Auf seinem Debütalbum machte er 2010 eine programmatische Ansage: »Gestern an der Gallus/ heute in den Charts/ auch wenn mein Album nicht Gold geht Chab/ deutscher Rap ist am Arsch«. Und zwar »richtig Blamage«, denn der restliche Rap »ist Fiat und meiner ist Porsche«, also wie Offenbach und Frankfurt im Vergleich.

Die Frankfurter Galluswarte ist ein pseudopittoreskes Türmchen, Platzhalter für Trinker, Hänger und andere Druffis. Für Haft, diesen unruhigen Geist, ist da viel zu wenig los. »Ich rede nicht viel/ glaub mir Bruder ich schieße/ Drive-by von der Hayabusa-Maschine«. Es wird geschossen, gefickt und gekokst - die Topthemen im Deutsch-Rap, die auch Haftbefehl rituell bedient. Glaubt er, man könnte das Genre sonst nicht erkennen? »Guck ich werde reich und spiele weiter groß/ und ficke alle Schlampen von hier bis nach Rom«. »George Bush seine Tochter« und »Rihanna auf’m Tretboot« gibt es auch noch. Voll übertrieben. Ist wie beim autogenen Training: Seine Klischees sind so schwer, sie werden immer schwerer, bis zur Schwermut. Die »FAZ« sah in ihm T. S. Eliot, Ezra Pound und Christian Morgenstern. Glaubt man's? »Das ist Prominentenstyle, Urlaub Barbados«, rappt Haftbefehl. Wo treibt er sich bloß rum? Gestern Charts, heute Dubai.  Christof Meueler

Rumgegockel im Einfamilienhaus: »Conan x Xenia« vom »Weißen Album« (2020)

Es gibt in der »Babo«-Story eine Szene (nein, nein, nein, nicht die im Hotel), die reicht, um den Geist des deutschen Gangsta-Rap zu verstehen. Das ganze Gelaber von Penissen, die irgendwo reingesteckt werden wollen, Knarren und Autos ist (Surprise, surprise!) eher Stand-up-Comedy, irgendwas zwischen Fieber- und feuchtem Traum, als Biografiearbeit. Aykut Anhan sagt sinngemäß: Wer denkt, dass neben mir ständig 20 nackte Frauen sitzen, der ist selber schuld.

Bei Songs wie »Conan x Xenia« ist das ganz niedlich veranschaulicht. Erst mal knallt der typische Beat, der klingt wie die Glocken der Apokalypse, total rein. Dann dieses einzigartige Hafti-Geschrei »Hau' dich Totalschaden, ohne Grund, ohne Moral/ Ich bin jung, ich bin wild, ich bin asozial«. Im Prinzip ist das dasselbe wie Nirvanas »Smells like Teenspirit«, nur mit weniger Adjektiven. Man versteht schon, warum der so gefeiert wird. Das klingt zwingend, das ist mitten rein.

Der starke Anfang bricht dann allerdings sofort hart ein mit einem Diss, der, man kann es nicht anders sagen, total abkackt. Das neue Album eines Kontrahenten findet Hafti »so lala«, und es geht weiter: »bei deiner Mucke wird mir schlecht, katastrophal«. Also das kann ja selbst Bushido besser. Nicht zu reden von Nas, 2Pac oder dem frühen Eminem. Wer auch immer mal geschrieben hat, dass Haftbefehl den deutschen Rap auf amerikanisches Niveau gehoben hat, kennt diese Zeilen nicht.

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Dann folgt das übliche Geschimpfe über Frauen, die alle als Sexarbeiterinnen tätig sind und hier natürlich nur deshalb Nutten heißen, weil das lange Wort sonst den Flow zerstört. »Scheiß mal auf Rolex, Nutte, her mit der Chopard«. Das wiederum ist eine ganz hübsche Analogie, die künstlerisches Talent gegen Statusdenken stellt, die aber auch nur kickt, wenn man sich mit dem langweiligen Neureichen-Hobby Uhren auskennt. Im Anschluss darf die Youtuberin Shirin David auch kurz über Brazilian Butt Lift rappen, was sie ganz gut macht.

Am interessantesten ist aber die Hook mit Verweis auf den Film »Conan der Barbar« mit Arnold Schwarzenegger (1982): »Scheiß mal auf Arnold, ich bin Conan der Barbar«. Man kann das, wenn man weiß, wie Haftbefehl aussieht, der, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen im Business, mit Sicherheit nie ein Fitnessstudio von innen gesehen hat, nur als sehr gelungene Selbstironie verstehen. Gleichzeitig, und das ist prototypisch im deutschen Gangsta-Rap, imprägnieren sich durch das Glorifizieren von harten Körpern und noch härteren Seelen ein paar arme Würstchen emotional selbst und arbeiten sich jedes Mal von Neuem an ihrer abwesenden Vaterfigur ab, gemixt mit ein paar brutalen Erfahrungen aus der Jugend, die 20 Jahre her ist. Immerhin zahlt das Rumgegockel das Haus mit Garten in irgendeinem Vorort von Stuttgart ab. Christin Odoj

Gryphius regiert: »Mann im Spiegel« vom Album »Blockplatin« (2013)

Es ist die ultimative Mackersituation: Irgendwann sitzt du ganz allein irgendwo, alle haben sie dich verraten, das Weib ist eh schlecht, alles fühlt sich so tot an, außer halt dem Mitteilungsdrang: Spätestens seit Goethes »Werther« ist das eine literarisch gern verwertete Misere von Männern, die im Kern unheilbare Muttisöhnchen sind. Auch Haftis lyrischem Ich bleibt natürlich nur die eifrig mitgeilte Super-Endpose: Dicke Wumme rausholen, mit einem großen Knall die ganze bekannte Welt zerstören - nämlich das eigene Ego. (»Ich schrei’ fickt euch alle und baller’ mir mit ’ner Pumpgun in die Rübe«). Krawumms!

Der Song hat Wirkung, erreicht aber trotz Rappertimbre und Musik nicht die glitzernde Fülle des großen Ur-Leidenden Andreas Gryphius, der das Selbstmitleid-Genre schon 1640 abschließend definiert hat mit seinem Gedichtknüller »Threnen in schwerer Kranckheit«: Hier mustert sich ebenfalls ein Mann, der sich am Ende wähnt, haut dabei goldene Zeilen raus wie etwa »Ich werde von mir selbst nicht mehr in mir gefunden«, und auch Gryphius endet mit dem erzählerisch ja eigentlich schwer vertretbaren Tod des Erzählenden. Wer aber den Altmeister liest, spürt auch das Echo eines leichten Schmunzelns, eine Selbstironie, die Hafti hier abgeht.  Klaus Ungerer

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