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Brandenburger Grüne wollen weniger gehasst werden

Als außerparlamentarische Opposition steht die Ökopartei in Brandenburg vor großen Herausforderungen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Brandenburgs Grüne müssen laut sein, um noch gehört zu werden.
Brandenburgs Grüne müssen laut sein, um noch gehört zu werden.

Juliana Meyer bezeichnet sich als »ostdeutsches Wendekind«. Geboren 1987, erlebte sie die Baseballschlägerjahre. Damals machten Neonazis fast unbehelligt von der Polizei die Straßen unsicher. »In meinem alternativen Jugendclub wurden regelmäßig die Scheiben eingeschlagen«, erinnert sich Meyer. Sie kennt aus dem Familien- und Bekanntenkreis die Ängste vor Arbeitslosigkeit, Geldsorgen, Politikverdrossenheit und Hoffnungslosigkeit.

2008 ist Meyer nach Brandenburg gezogen und 2019 den Grünen beigetreten. Jetzt bewirbt sie sich bei einer Landesdelegiertenkonferenz am 15. November in Fürstenwalde als Landesvorsitzende. Der Landesverband braucht eine neue Frau in der Doppelspitze mit Clemens Rostock. Denn die derzeitige Landesvorsitzende Andrea Lübcke ist in den Bundestag nachgerückt, als Annalena Baerbock zur Uno-Generalversammlung wechselte. Bei den Grünen gilt eine Trennung von Amt und Mandat. Darum gibt Lübcke den Posten der Landeschefin ab. Neben Juliana Meyer bewirbt sich auch Svenja Künstler, die mit 37 Jahren ungefähr ebenso alt und seit 2013 Parteimitglied ist. Künstler hat zehn Jahre bei verschiedenen Umweltverbänden gearbeitet und sie hat ein Ziel: »2029 kehren wir in den Landtag zurück.«

Dass Brandenburgs Grüne im September 2024 den Wiedereinzug in den Landtag verpassten, hat sie schwer getroffen. Anders als die Linke, die mit drei Prozent ebenfalls scheiterte, hatten sie ihre Niederlage nicht vorhergesehen. Das lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Schließlich hatten sie 2019 mit 10,8 Prozent noch ein Rekordergebnis erzielt und sich eingebildet, fünf Jahre lang anständig mitregiert zu haben.

»Auch wir haben vielleicht zu viel über die AfD gesprochen und nicht darüber, wo Grüne den Unterschied machen.«

Clemens Rostock Grünen-Landeschef

Die Grünen reagierten zu spät auf die Strategie der SPD, den Wahlkampf auf Ministerpräsident Dietmar Woidke zuzuschneiden, der sich als Bollwerk gegen die AfD inszenierte. So mutmaßt die scheidende Landesvorsitzende Lübcke.

Eigentlich hätte die Strategie der SPD nicht überraschen dürfen, die bereits 2019 zum Erfolg geführt hatte – nur dass Woidke 2024 noch eins draufsetzte und seine politische Zukunft daran knüpfte, dass die SPD die in den Umfragen weit enteilte AfD noch einholt. Das ist auf den letzten Metern tatsächlich gelungen – auf Kosten der Linken und der Grünen. »Auch wir haben vielleicht zu viel über die AfD gesprochen und nicht darüber, wo Grüne den Unterschied machen«, überlegt der Landesvorsitzende Clemens Rostock. Der Wahlkampf der Ökopartei sei »zu verkopft und viel zu sehr in der eigenen Blase« gewesen. Künftig möchten die Grünen mit einer neuen Herangehensweise wieder Boden gut machen. Sie wollen auf die Menschen zugehen, beispielsweise in Fahrradwerkstätten.

2024 war die Linke weiten Teilen der Bevölkerung egal geworden. Aber die Grünen wurden regelrecht gehasst. Wenn sie nun auf Menschen zugehen, dann werden sie bestimmt nicht gleich gewählt, aber vielleicht nicht mehr so sehr gehasst, sagt Lübcke.

Die für persönliche Kontakte erforderlichen Mitstreiter haben die Grünen mittlerweile eher als vor einem Jahr. Denn die Mitgliederzahl ist seitdem von knapp 3000 auf fast 4000 gestiegen. Allerdings steht das Erreichen der Marke von 4000 nicht unmittelbar bevor, obwohl nur noch wenige Eintritte dafür erforderlich wären. Die Eintrittswelle hat sich zuletzt deutlich abgeflacht und die Mitgliederzahl blieb dann relativ stabil.

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Woran es den Grünen mangelt, das sind Geld, Informationen und Aufmerksamkeit. Es fehlen die zehn Landtagsabgeordneten, die von ihren Diäten Beiträge an die Partei abführten, bei landespolitischen Fragen auf dem Laufenden waren und in Presse und Rundfunk zitiert wurden.

Weniger als die Häfte der Summe, die ihnen 2024 zur Verfügung stand, könnten Brandenburgs Grüne 2029 in den Landtagswahlkampf stecken, wenn ihnen die Bundespartei und die Kreisverbände nicht inzwischen mehr Geld abgeben würden. Dieses Problem haben sie immerhin gelöst.

Die hauptamtlichen Landeschefs der Grünen hauen fast täglich Pressemitteilungen heraus und müssen hoffen, dass sie als außerparlamentarische Opposition noch Beachtung finden. Da kann und will die ehrenamtliche Doppelspitze der brandenburgischen Linken nicht mithalten. Muss sie auch nicht. Würde es vorgezogene Neuwahlen geben, wären die Sozialisten derzeit sicher drin im Landtag. In den Meinungsumfragen stehen sie bei neun Prozent. Die Grünen müssten mit vier Prozent wieder zittern und würden voraussichtlich erneut scheitern.

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