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»Oyvon«: Strategisch kleiner
Ärzte ohne Grenzen startet mit Schiff »Oyvon« wieder Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer
Mit dem Schiff »Oyvon« ist Ärzte ohne Grenzen nach fast einem Jahr Pause bei der Seenotrettung zurück – auf einer der tödlichsten Migrationsrouten weltweit. Die Organisation kündigte diesen Woche an, wieder Menschen aus dem zentralen Mittelmeer aufzunehmen. Laut der Internationalen Organisation für Migration sind zwischen Nordafrika und Italien seit 2014 mehr als 25 000 Menschen ums Leben gekommen oder verschwunden.
Die »Oyvon« ist mit 20 Metern Länge und sechs Meter Breite deutlich kleiner als das Vorgängerschiff. Ein kleineres und schnelleres Schiff sei »eine strategische Reaktion auf die restriktiven Gesetze und Praktiken der italienischen Regierung«, erläutert Juan Matias Gil, Einsatzleiter für Seenotrettung von Ärzte ohne Grenzen. Rom habe es speziell auf humanitäre Rettungsschiffe abgesehen. Italienische Behörden setzten das Vorgängerschiff »Geo Barents« per Erlass 160 Tage lang in Häfen fest. Regelmäßig schickten sie es ins nördliche Italien, wodurch es knapp 65 000 zusätzliche Kilometer zurücklegen musste. Wegen dieser Behinderungen stellte Ärzte ohne Grenzen die Fahrten im Dezember 2024 ein.
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»Oyvon« bedeutet auf Norwegisch nicht ganz unpassend »Hoffnung für die Insel«. Das ehemalige Ambulanzschiff stammt aus Norwegen, wo es Inselbewohner im ärztlichen Notfall aufs Festland brachte. Eine Umrüstung und Neuausstattung bereitete das Schiff für Rettungseinsätze auf dem Meer vor. Zu den zehn Crewmitgliedern gehört auch medizinisches Personal. Ein schnelles Schlauchboot für Rettungseinsätze sowie zwei Decks zur Aufnahme geretteter Personen sind vorhanden. Wie viele von letzteren auf dem Schiff Platz finden, hängt laut der Hilfsorganisation unter anderem von der Wetterlage ab. Ein Startpunkt der Suchaktionen ist derzeit noch unklar.
Das neue Schiff reiht sich in eine Chronik der Seenotrettung von Ärzte ohne Grenzen ein, die auf dem Mittelmeer 2015 begann. Auf neun verschiedenen Rettungsschiffen war die Organisation bisher alleine oder mit anderen Nichtregierungsorganisationen im Einsatz und rettete in dieser Zeit nach eigenen Angaben mehr als 94 000 Menschen das Leben.
Die Lage für zivile Seenotretter ist ernst: »Monitor«-Recherchen ergaben zunehmende Einschränkungen. Ein besonders schwerwiegender Vorfall ereignete sich diesen August, als die libysche Küstenwache 20 Minuten auf das Rettungsschiff »Ocean Viking« schoss. Konsequenzen der EU blieben aus – wenig verwunderlich, da sie die libysche Küstenwache doch selbst seit 2017 aufbaute und ausrüstete. Ärzte ohne Grenzen will bei ihren Einsätzen die Erfahrungen von aus Libyen fliehenden Menschen dokumentieren.
»Oyvon« ist einerseits das Ergebnis strategischer Überlegungen: um Restriktionen der rechtsgerichteten Meloni-Regierung in Italien zu entgehen. Andererseits ist sie Ausdruck des Willens, nicht wegzuschauen: »Als medizinische und humanitäre Organisation ist unser Engagement, auf See präsent zu sein und Menschen auf der Flucht zu helfen, ungebrochen«, erklärt Juan Matias Gil.
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