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Russlands neue Rechte
Die nationalistische Russkaja Obschtschina inszeniert sich dank staatlicher Unterstützung zunehmend als Schutzmacht
Schwarz gekleidet, die Gesichter hinter Masken versteckt – so marschierten am 1. November etwa 140 Anhänger der nationalistischen Organisation Russkaja Obschtschina ungestört durch den Moskauer Vorort Ljuberzy. Dabei gaben sie lauthals das sowjetische Kinderlied »Wenn du mit einem Freund unterwegs bist« zum Besten. Wohl nicht zufällig fand der Aufmarsch kurz vor dem 4. November statt, dem »Tag der Volkseinheit«, an dem bis zur Corona-Pandemie regelmäßig Tausende Neonazis und Nationalisten aller Couleur auf die Straße gingen. Seither unterliegen Demonstrationen in Moskau einem strikten Verbot. Genehmigungen erteilen Behörden nur für selbst initiierte Großveranstaltungen.
Als politische Kundgebung will die »Russische Gemeinde«, so die deutsche Übersetzung, ihr Treiben nicht verstanden wissen. Vielmehr bezeichnete sie in ihrem überregionalen Telegram-Kanal mit beachtlichen mehr als 669 000 Followern ihren Auftritt als Maßnahme zum Schutz der Stadtbevölkerung. Schließlich grenze Ljuberzy an den Moskauer Stadtteil Kotelniki, der »mit Hilfe Migrantophiler faktisch zu einer ethnischen Enklave« mutiert sei. Spaziergänge in den Abend- und Nachtstunden in Nähe des »Ghettos« seien demnach mit Gefahren verbunden. Bürgerwehren der Russkaja Obschtschina patroullierten, um gemeinsam mit den Polizeikräften auf der Straße für Sicherheit zu sorgen. Es war nicht der erste Aufmarsch, aber einer der größten.
Selbstinszenierung als Schutzmacht sorgt für Zulauf
Mit dieser Form der Selbstinszenierung als Schulter an Schulter mit staatlichen Kräften agierende Schutzmacht hat sich die Russkaja Obschtschina nicht nur einen Namen gemacht, sondern sich auch Zulauf verschafft. Derzeit dürfte sie sich auf eine aktive Anhängerschaft von etlichen Tausend stützen können, eine Zahl, die derzeit keine andere in Russlands rechtsextremem Spektrum zu verordnende Organisation erreicht. Landesweit unterhält sie Anlaufstellen für potenzielle Mitstreiter, einschließlich der von Russland annektierten ukrainischen Gebiete. Nur den Nordkaukasus spart sie aus.
Bislang hat es kein einflussreicher Staatsdiener für nötig befunden, dem eigenständigen Treiben der Russkaja Obschtschina ein Ende zu setzen.
Entstanden ist die Russkaja Obschtschina Ende 2020. Sie war eine von vielen rechten Bewegungen, denen der russische Sicherheitsapparat keine Chance ließ, sich zu etablieren. Mit Beginn der groß angelegten Militärinvasion in der Ukraine im Februar 2022 änderten sich die politischen Umstände grundlegend. Für nationalistische Organisationen eröffneten sich neue Möglichkeiten, vorausgesetzt, sie stellten sich zu 100 Prozent hinter die Kriegslinie des Kreml. Anstatt allein auf staatlich gesteuerte Bewegungen zu setzen, wollte die russische Führung Enthusiasmus von unten fördern. In der Beziehung erwies sich die Russkaja Obschtschina als überaus anpassungsfähig – das Erfolgsrezept neben ihrer islamfeindlichen, gegen Migration und Abtreibungen gerichteten Agenda.
Niemand weiß, wer die Russkaja Obschtschina finanziert
Das Führungstrio besteht aus Jewgenij Tschesnokow von der Bewegung »Für das Leben«, Andrej Tkatschuk, vormals Vizevorsitzender im Stadtrat von Omsk, und Andrej Afanasjew, als Journalist für die fundamental-orthodoxen Fernsehsender Spas und Zargrad tätig. Auch Tkatschuk arbeitete vorübergehend für Tsargrad.
Vor seiner Kündigung 2021 versuchte er vergebens, den Zargrad-Gründer Konstantin Malofejew davon zu überzeugen, mit dessen Geld und Einfluss eine von oben sanktionierte, schlagkräftige nationalistische Bewegung zu schaffen. Doch die Zusammenarbeit scheiterte, Malofejew zeigte kein Interesse, die Initiative zu finanzieren. Das mag auch daran gelegen haben, dass frühere Bemühungen des ultraorthodoxen Oligarchen um Rückhalt aus der Präsidialverwaltung für seine politischen Projekte keinen Zuspruch fanden. Wer stattdessen die Russkaja Obschtschina finanziert, bleibt unklar. Ihre Leitung beharrt darauf, dass die Aktivitäten der Bewegung auf Spenden basieren.
Der Staatsapparat sympathisiert mit den Rechten
Alexander Werchowskij, Leiter des Forschungszentrums Sova, das sich mit der russischen extremen Rechten befasst, geht davon aus, dass die Russkaja Obschtschina nicht auf Anweisung der Behörden agiert. Da der Gruppe kaum Schranken gesetzt werden, gingen lokale Machtstrukturen offenbar davon aus, dass sich die Grenzen des Erlaubten erweitert hätten. Werchowskij vermutet, dass sich im Staats- und Polizeiapparat durchaus Sympathien für den nationalistischen Ansatz der Russkaja Obschtschina finden. Zentral jedoch sei, dass bislang kein einflussreicher Staatsdiener es für nötig befunden habe, deren eigenständigem Treiben ein Ende zu setzen.
Tatsächlich gibt es mit dem stramm rechten Leiter des Ermittlungskommitees Alexander Bastrykin einen prominenten Fürsprecher der Russkaja Obschtschina. Nur gelegentlich, so im Juni im Gebiet Wladimir, greift die Polizei ein, wenn einzelne Aktivisten mit Gewalt vorgehen.
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