G20: Trump zeigt Südafrika die kalte Schulter

USA bleiben G20-Gipfel fern

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 5 Min.
Fühlt sich in Südafrika sichtlich wohler als Kanzler Merz in Brasilien: Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Mitte) beobachtet bei seiner Ankunft zum G20-Gipfel die Darbietung der Kulturgruppe Umzekelo.
Fühlt sich in Südafrika sichtlich wohler als Kanzler Merz in Brasilien: Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Mitte) beobachtet bei seiner Ankunft zum G20-Gipfel die Darbietung der Kulturgruppe Umzekelo.

Die wichtigsten Zahlen zum G20-Gipfel lieferte Oxfam schon am Donnerstag. Das Vermögen der Milliardäre in den 20 Mitgliedsländern ist im vergangenen Jahr um weitere 2,2 Billionen US-Dollar angewachsen – ein Plus von 16,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Laut der Hilfsorganisation könnte man allein mit diesem Vermögenszuwachs die 3,8 Milliarden Menschen, also knapp die Hälfte der Weltbevölkerung, die derzeit unterhalb der Armutsgrenze leben, ein Jahr lang aus eben jener Armut befreien – und hätte immer noch 550 Milliarden US-Dollar übrig.

Ab dem heutigen Samstag treffen sich nun die meisten Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten in der südafrikanischen Wirtschaftsmetropole Johannesburg. Eine Umsetzung des Oxfam-Vorschlags ist nicht zu erwarten. Dabei hatte Gastgeber Südafrika seine erste G20-Präsidentschaft durchaus unter das Motto »Solidarität, Gleichheit, Nachhaltigkeit« gestellt und damit den Anschein erweckt, an der abgrundtief ungerechten Weltordnung gemeinsam mit anderen Ländern des Globalen Südens zumindest sanft rütteln zu wollen. Die Konsequenz: US-Machthaber Donald Trump überzog das Land, das als erster afrikanischer Staat überhaupt einen G20-Gipfel ausrichtet, wiederholt mit haltlosen Völkermordwürfen sowie vernichtenden Strafzöllen. Mit dem Boykott des Gipfels sorgt Washington zudem dafür, dass nicht die Vorschläge Südafrikas zur Armutsbekämpfung im Mittelpunkt des Weltinteresses stehen, sondern die Lügen Trumps.

Keine US-Vertreter beim G20-Gipfel

Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Mittwoch unter Berufung auf ein von ihr eingesehenes Dokument berichtete, haben die USA Südafrika gar formal davor »gewarnt«, auf dem Gipfel in Johannesburg die Verabschiedung einer Abschlusserklärung voranzutreiben. In dem Schreiben, das am 15. November übermittelt worden sein soll, kündigte die US-Regierung an, dass sie weder zu den Vorbereitungsgesprächen noch zum Gipfel selbst Delegierte entsenden werde. Stattdessen drohte sie, jegliche Ergebnisse des Gipfels zu blockieren, da Südafrikas Pläne »US-Politikansichten zuwider laufen«. Das Papier folgt auf eine Anweisung Trumps, wonach keine US-Vertreter zum Gipfel reisen sollen.

Die Aggressivität, mit der Washington Pretoria derzeit auf diplomatischem Parkett angreift, lässt Experten wie den ehemaligen südafrikanischen Finanzminister Trevor Manuel, inzwischen gar vermuten, dass Südafrika zum nächsten G20-Gipfel, der ausgerechnet in Miami stattfindet, nicht eingeladen werden könnte. »Es gibt keine Regeln«, erklärte Manuel, von Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa derzeit in ein »Africa Expert Panel« zur Vorbereitung der Gipfel-Agenda berufen, im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung am Mittwoch in Johannesburg. Dem südafrikanischen Finanznachrichtenportal »Moneyweb« sagte er zudem, man erlebe derzeit »nie dagewesene Attacken gegen Südafrika«. Das System multilateraler Institutionen sei inzwischen »sehr kaputt«.

Südafrikas Regierung scheint vor den Drohgebärden aus Washington jedoch nicht einknicken zu wollen. »Washingtons Abwesenheit verhindert, dass es bei den Entschlüssen der G20 eine Rolle spielt«, sagte Außenministeriumssprecher Chrispin Phiri am Mittwoch Bloomberg und führte aus: »Wir können es nicht zulassen, dass Nötigung durch Fernbleiben eine gangbare Taktik wird. Das würde zu institutioneller Lähmung und zum Zusammenbruch kollektiven Handelns führen.«

Am Donnerstag ließ Staatschef Ramaphosa dann auf einer Pressekonferenz mit den EU-Spitzen António Costa und Ursula von der Leyen durchblicken, dass die USA nun doch um eine Teilnahme »in der einen oder anderen Form« gebeten hatten. Man befinde sich nun in Gesprächen darüber, ob dies so kurzfristig noch machbar sei, erklärte der Südafrikaner, der sich ein Kichern nicht verkneifen konnte. Später am Donnerstag bestätigte sein Sprecher Vincent Magwenya auf X indirekt Gerüchte, wonach die USA lediglich eine Übergabe der G20-Präsidentschaft an ihren stellvertretenden Botschafter in Südafrika angestrebt hatten. Seine Botschaft: »Der Präsident wird nicht an einen Geschäftsträger übergeben.«

Kein Genozid an Weißen in Südafrika

Die Spekulationen darüber, ob Trump sein Nebelkerzenfeuerwerk nun abfackelt, um von den Epstein-Akten abzulenken, um Südafrika für seine Mitgliedschaft in der Brics-Gruppe abzustrafen, oder weil ihm Pretorias Völkermordklage gegen Israel missfällt, sind samt und sonders müßig. Wichtig ist jedoch die Klarstellung: In Südafrika findet kein Genozid an Weißen statt, nicht einmal eine Diskriminierung. Im Gegenteil: Weiße erzielen in dem Land auch gut 30 Jahre nach Ende der rassistischen Apartheid noch durchschnittlich viermal so hohe Einkommen wie Schwarze. Ihre höheren Vermögen führen zu einer besseren medizinischen Versorgung, ihre Kinder gehen auf bessere Schulen und sind häufiger Hochschulabsolventen. Die Verhandlungslösung zur Beendigung der Apartheid hatte die Besitzverhältnisse fast vollständig ausgeklammert. In diesem Kontext aus den zaghaften Programmen zur Förderung schwarzer Menschen im Berufsleben eine Diskriminierung von Weißen abzuleiten, wie Trump oder Elon Musk es tun, ist nur unter völliger Ausblendung der historisch erzwungenen Gesellschaftsverhältnisse möglich.

Doch genau das ist der Kern von Trumps Boykott. Er handelt in Diensten der Superreichen, deren Geschäftsmodell Erpressung durch Monopolbildung ist. Demokratische Mitspracherechte oder Regeln, die Schwächere schützen, stehen dem im Weg. Die Südafrikaner haben gar erstmals ein »G20-Sonderkomitee Unabhängiger Experten zu Globaler Ungleichheit« ins Leben gerufen, das unter Leitung des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Joseph Stiglitz sogleich einen »Ungleichheitsnotstand« auf dem Planeten konstatierte. Das eine Prozent der Weltbevölkerung, das dem Komitee zufolge seit dem Jahr 2000 von jedem erwirtschafteten Euro 41 Cent eingestrichen hat, während die Hälfte der Menschheit sich einen Cent teilt, kann sich auf Washington als Verteidiger des Status quo verlassen.

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