Reichsbürger-Putschisten: Er wollte doch nur helfen

Seit anderthalb Jahren läuft der Prozess gegen die mutmaßlichen Reichsbürger-Putschisten

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß muss sich seit anderthalb Jahren vor Gericht verantworten.
Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß muss sich seit anderthalb Jahren vor Gericht verantworten.

Der adrett gekleidete Mann mit dem graumelierten Haar hat eine einfache Botschaft: Mein Name ist Paul G., ich weiß von nichts. Nur braucht er dafür sehr, sehr viele Worte. Der Rechtsanwalt aus Hannover ist einer der 25 Männer und Frauen, denen seit anderthalb Jahren wegen des Vorwurfs der Vorbereitung eines bewaffneten »Reichsbürger«-Umsturzes der Prozess gemacht wird. Oder richtiger: die Prozesse. Gegen die mutmaßlichen Putschist*innen um den Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß wird vor den Oberlandesgerichten in Frankfurt am Main, Stuttgart und München verhandelt. Es geht um Terrorismus und Hochverrat.

Paul G., laut Anklage designierter Außenminister der von Reuß geführten Putschregierung, gehört zu den Angeklagten in München. Und anders als viele seiner mutmaßlichen Mitverschwörer*innen will er zu den Vorwürfen nicht schweigen. Ganz im Gegenteil: Bereits seit etlichen Wochen trägt er eine von ihm vorbereitete Einlassung vor, sorgfältig gegliedert mit Buchstaben, römischen Zahlen und arabischen Ziffern und sehr ausführlich. Als am vergangenen Mittwoch der 90. Prozesstag endete, ist er auf Seite 566 von – Stand jetzt – 642 angekommen.

Was dabei vor allem hängenbleibt: Dieser Mann ist mit sich im Reinen und sich keiner Schuld bewusst. Von einem »konstruierten Tatvorwurf« spricht der 49-Jährige und von »objektiv unzutreffenden Annahmen« der Bundesanwaltschaft, die – da gibt sich der promovierte Jurist fast verständnisvoll – nur mit Zeitdruck bei den Ermittlungen zu erklären sein könnten.

Sein zentrales Argument haben auch schon andere Angeklagte in diesem Komplex bemüht: Die Gruppe um Reuß habe gar keine eigenständigen Umsturzbemühungen entfaltet, sondern darauf gewartet, dass eine internationale (oder auch intergalaktische) Geheimarmee namens »Allianz« in Deutschland einmarschiert und das System stürzt. So wurde es ja bei Telegram pausenlos angekündigt.

Über Waffen, über Geld für den Waffenkauf, über den Aufbau bewaffneter »Heimatschutzkompanien« oder über Kontakte nach Russland sei in seiner Gegenwart nie gesprochen worden, beteuert Paul G. Über »Militärgerichte«, die auch die Todesstrafe verhängen sollten, allerdings schon. »Ich wollte einfach nur helfen, wenn dies erforderlich geworden wäre«, sagt der angeklagte Anwalt. Beim Wiederaufbau oder wobei auch immer, so genau weiß er das nicht.

Zugleich erklärt er, dass er nicht mit einer »kriegerischen Invasion« gerechnet habe: »In meinem Vorstellungsbild war schon das Erscheinen der «Allianz» friedlich.« Nach seinen Worten sollte die Geheimarmee – der angeblich eine Million Soldaten aus den USA, Russland und 15 weiteren Ländern angehörten – Selbstbestimmung, Liebe und ein besseres Leben für alle bringen. Aber eben auch Waffen und Ausrüstung für die Angeklagten. Und die Wiederherstellung der deutschen Grenzen von 1937, ein alter Traum der extremen Rechten in Deutschland.

»Die Allianz blieb eine Fiktion, ein Hirngespinst«, sagt Paul G. heute. Bei seiner Festnahme lag ein Buch über die »geheime Weltherrschaft der Reptiloiden« auf dem Nachttisch. Vor Gericht spricht er auch über »wohlmeinende Außerirdische« und »höherentwickelte Lebensformen«, über »Urseelen« und Reinkarnation.

Dem zweiten Mitglied mit juristischem Doktortitel im von Reuß geführten »Rat«, der Richterin und ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann, hatte die Berufung von Paul G. in die illustre Runde gar nicht behagt. Aber nicht wegen seines bizarren Weltbilds, das ihrem eigenen nicht fremd war, sondern weil sie um ihre Pfründe fürchtete.

In einem Chat mit der im April verstorbenen Mitangeklagten Hildegard L., genannt »Astrohilde«, nannte die designierte Justizministerin den hannoverschen Anwalt einen »Konkurrenten«: »Bist du sicher, dass mich der nicht ersetzen soll?« Im selben Chat vom Mai 2022 beschwerte sie sich, dass ihr Mitarbeiter*innen für ihren »Stab« zugeteilt werden sollten – ohne auf ihre Personalvorschläge einzugehen. »Übergriffig« sei das, schimpfte sie. Wie das zu ihrer Einlassung vor Gericht passen soll, hat Malsack-Winkemann bislang nicht erklärt. Da hatte sie behauptet, der »Rat« sei nicht mehr als ein intellektueller Gesprächskreis gewesen: »Eine ziemlich lockere Angelegenheit, ein freundliches Zusammensein.« Keinesfalls eine Putschregierung.

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