»Welcome Home Baby«: Hexenhafte Mafia-Frauen

Der Regisseur Andreas Prochaska zeigt in seinem Horror­film »Wel­come Home Baby«, dass Frauen auch böse sein können, erklärt aber nicht, warum

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Patriarchat funktioniert nur, weil es auch Frauen gibt, die es stützen, findet Regisseur Prochaska. So ist dann auch sein Film geworden.
Das Patriarchat funktioniert nur, weil es auch Frauen gibt, die es stützen, findet Regisseur Prochaska. So ist dann auch sein Film geworden.

Vieles an der Filmwelt in »Welcome Home Baby«, dem neuen Horrorfilm des österreichischen Regisseurs Andreas Prochaska (»Das finstere Tal«), wirkt überdreht, überfrachtet – zu viel des Guten beziehungsweise Unguten. Beginnend mit dem oft ohrenbetäubenden Score über die merkwürdig aufdringlichen Reminiszenzen an Genre-Konventionen und -klassiker bis zum wirren Plot: Prochaskas Film hinterlässt einige Ratlosigkeit.

Im Zentrum der Handlung steht ein Horrorhaus, das sich nicht fotografieren lassen will und überhaupt zumindest dahingehend eine Art Eigenleben entwickelt, dass es seine Insassen in einen Wahnsinn aus Erinnerungslücken, Zeitinkontinuitäten und surrealistischen Unmöglichkeiten treibt.

Die anfängliche, erdrückende Zuneigung der matriarchalen Dorfcommunity ist längst in brutale Übergriffigkeit umgeschlagen.

Ein solches Haus, irgendwo in der österreichischen Provinz, wird der Berliner Notärztin Judith (Julia Franz Richter) von ihrem Vater, den sie nie kennengelernt hat, vererbt. Judith wurde als Vierjährige zur Adoption freigegeben, verständlich daher, dass sie mit dem verstorbenen Vater, der bis ins hohe Alter in nämlichem Haus gewohnt und dort als Allgemeinarzt praktiziert hat, nichts verbindet und dass sie es nur schnell verkaufen und dann zügig in die Großstadt zurückkehren will.

Ihr Mann Ryan (Reinout Scholten van Aschat) bemerkt zu Recht, das könne auch von Berlin aus erledigt werden, doch sie verwirft diese Möglichkeit: »Nee, wir fahren auf jeden Fall.« Schon hier fehlt eine plausible Motivation, und diese seltsame Unmotiviertheit bestimmt den Verlauf des oft unergründlichen Treibens der Figuren in »Welcome Home Baby«.

Was also will Judith in dem österreichischen Nest eigentlich? Die einzige halbwegs plausible Erklärung führt zu der Annahme, dass sie nun doch in Erfahrung bringen will, wer ihre Eltern waren und warum sie von ihnen verstoßen wurde. Hier wird also in einer frühen Sequenz des Films auf unbewusste Sehnsüchte hingewiesen, die gewissermaßen die Handlungen der Protagonistin bestimmen. Sehnsüchte, die sie nicht erkennt und beeinflussen kann, wodurch sie selbst beeinflussbar wird, etwa indem diese Sehnsüchte von außen getriggert werden.

Kaum angekommen, wird klar, dass in Haus und Dorf etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Eine unheimliche »Tante Paula« (Gerti Drassl) und andere Bewohnerinnen des Dorfes empfangen Judith wie eine verlorene Tochter, rücken ihr unvermittelt auf die Pelle und drängen sie, das Haus zu behalten und im Dorf zu bleiben. Widerwillig lässt sich das junge Paar darauf ein, und so sitzt bald das halbe Dorf im Wartezimmer von Judiths Vater und pocht darauf, von der »Frau Doktor« behandelt zu werden.

Außerdem, auch darauf drängen die Damen, soll Judith unbedingt ein Kind bekommen. Trotz Verhütung wird sie kurz darauf tatsächlich schwanger und wacht eines Morgens neun Monate später – auch dieser Zeitsprung wird nicht weiter erklärt – mit rundem Bauch und ohne zu wissen, was in der Zwischenzeit geschehen ist, auf. Nun versucht sie panisch aus dem Dorf zu fliehen, doch jeder Fluchtversuch scheitert, da die Straßen regelmäßig von der Einwohnerschaft verstellt werden: Es gibt kein Zurück.

Die anfängliche erdrückende Zuneigung der matriarchalen Dorfcommunity ist längst in brutale Übergriffigkeit umgeschlagen und Judiths Mann von Tante Paula zu einer Art Sklave degradiert worden, der sich jetzt gegen seine Frau wendet. Doch was genau wollen die hexenhaften Frauen eigentlich genau von ihr? Und wozu brauchen sie unbedingt ein Kind?

Nichts wird auserzählt, stattdessen verwässern in einem visuell durchaus überwältigenden Finale die Bedeutungsebenen zu einer ziemlich trüben und undurchsichtigen Brühe. Die zunehmend hexenhafte Tante Paula erscheint nun als Nonne und führt ein Ritual durch, in dem sowohl geboren als auch gestorben werden soll.

Doch wozu das alles? Soll das Bestehen des völlig überalterten Dorfes durch die Geburt eines einzigen Kindes gesichert werden? Und warum der ganze rituelle Aufwand? Man könnte junge Familien ja auch anders anlocken oder die Frauen hätten selbst Kinder bekommen oder adoptieren können. Oder sollen wir auf die Übergriffigkeit, Rückwärtsgewandtheit und Brutalität ländlicher Frauen hingewiesen werden?

Prochaska gab in einem Interview mit dem Wiener »Standard« an, er habe »immer an Mafiafilme denken« müssen, »wo man diese netten Damen im Hintergrund hat, die mitkochen und so freundlich sind, aber durch ihre Tätigkeit das System befördern, beschützen und verstärken … Das Patriarchat funktioniert ja nur, weil es – wie in den Mafiafilmen – auch Frauen gibt, die es stützen.«

Die Frauen in den Mafiafilmen – welche genau gemeint sind, verrät Prochaska nicht – sollen also derart mitschuldig an dem brutalen filmischen Mafia-Patriarchat sein, dass man dieser femininen »Schuld« einen ganzen Film widmet, in dem nun Frauen mit satanischen Mafia-Methoden eine junge, selbstbestimmte Frau in den Wahnsinn und in eine ungewollte Schwangerschaft treiben. Dabei sind Frauen zumindest in vielen der einschlägigen Mafia-Klassiker, etwa denen von Scorsese, oft als hilflos und ausgebeutet markiert und können froh sein, nicht von ihren oder anderen Mafia-Männern totgeschlagen oder erschossen zu werden.

Über seine Figuren in »Welcome Home Baby« gibt der Regisseur in dem Interview überdies zum Besten, er habe »immer wieder beobachtet«, wie Frauen Druck auf andere Frauen ausüben: »Oberflächlich nett und lieb zu sein, aber dabei völlig andere Hintergedanken haben. Das konnten nur die Damen wunderbar darstellen. Da hat kein Mann dazu gepasst. Er hätte nur gestört.« Genau: Wo es darum geht, oberflächlich freundlich und zuvorkommend zu erscheinen, aber in Wahrheit mit sinistren Hintergedanken Druck auf Frauen auszuüben, da sind Männer selbstredend raus.

Dass der Druck, der durchaus auch von Frauen auf andere Frauen oder sogar von Frauen auf sich selbst ausgeübt wird – etwa die gesellschaftliche Forderung, unbedingt Kinder zu bekommen –, den realen patriarchalen Verhältnissen entspringen könnte und das Patriarchat diese gesellschaftlichen Konventionen hervorbringt, auf die Idee kommt Prochaska nicht. Folgerichtig hat er einen Film gedreht, in dem das Patriarchat schlicht durch ein Matriarchat ersetzt wird, die patriarchalen Regeln der gegensätzlichen Realität aber nicht nur weitergelten, sondern von den dominanten Frauen besonders rücksichtslos durchgesetzt werden. Womit auch die diskursive Konfusion perfekt ist.

»Welcome Home Baby«, Österreich/Deutschland 2025. Regie: Andreas Prochaska. Mit: Julia Franz Richter, Reinout Scholten van Aschat, Gerti Drassl. 115 Min. Läuft im Kino.

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