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Brandenburg: Schnellzug zum Kohleausstieg
In Cottbus hält kein ICE, aber sie werden dort gewartet. So kommt der Strukturwandel vorwärts
Es fahren moderne ICE-Züge nach Cottbus. Doch Fahrgäste können dort weder ein- noch aussteigen. Die Züge steuern den Hauptbahnhof der Stadt gar nicht an, sondern nur das in unmittelbarer Nähe gelegene Bahnwerk. Dort werden die ICE in einer neu errichteten Halle gewartet. An einer zweiten neuen Instandsetzungshalle wird noch gebaut. Es entstehen insgesamt 1200 Arbeitsplätze.
Die Deutsche Bahn (DB) hat einige Beschäftigte wie Luzie Bobusch von der Lausitzer Energie AG (Leag) übernommen. Die Industriemechanikerin hatte in den Braunkohletagebauen Nochten und Reichwalde an großen Baggern herumgeschraubt. Jetzt schraubt sie an Zügen. Im August 2022 war sie zum DB-Konzern gewechselt. Einen neuen Beruf musste sie dafür nicht erlernen.
Die Bahn wollte eigentlich noch mehr Personal von der Leag übernehmen. Doch der Energiekonzern brauchte seine Leute länger selbst, weil im Kraftwerk Jänschwalde zwei bereits vom Netz genommene Blöcke zeitweise wieder hochgefahren wurden. Ursächlich dafür war die Energiekrise durch den Krieg in der Ukraine. Für solche Notfälle waren die zwei Blöcke in Reserve gehalten worden. Tatsächlich von der Leag übernommen hat die Deutsche Bahn jedoch deren Ausbildungswerkstatt am Kraftwerk Jänschwalde.
Die so gesicherte Ausbildungswerkstatt gilt als Zeichen dafür, dass die Jugend in der Lausitz eine Zukunft hat und der vor fünf Jahren eingeleitete Strukturwandel im Revier zu gelingen scheint. Das Bahnwerk, dem vor Jahren noch das Aus drohte, das nun aber ausgebaut wird, ist ein weiterer Beleg dafür. In der Lausitz zeige sich, »ob Politik ihr Wort hält oder nicht«, sagt der Abgeordnete Ludwig Scheetz (SPD) am Donnerstag im Brandenburger Landtag. In den 90er Jahren erlebten viele, wie schon einmal Tagebaue stillgelegt und Kraftwerke abgeschaltet wurden. Zehntausende verloren ihre Arbeitsplätze und erhielten keine andere Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diesmal solle es anders laufen, versichert der Abgeordnete Scheetz. Aber die im Strukturwandel erreichten Fortschritte seien im Alltag noch nicht bei allen angekommen, ist ihm bewusst. »Wer jeden Tag um seinen Arbeitsplatz bangt, wer keinen Hausarzt in erreichbarer Nähe findet, wer das Gefühl hat, dass alles teurer und komplizierter wird, den überzeugen keine schönen Balkendiagramme.« Es komme darauf an, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen.
»Ein in Cottbus haltender ICE würde zwar schön aussehen, aber keinen einzigen Pendler schneller an sein Ziel bringen.«
Christian Görke Bundestagsabgeordneter
»Die Braunkohle hat für die Region bis heute eine hohe wirtschaftliche Bedeutung«, weiß der BSW-Abgeordnete Falk Peschel. Die Kohle sichere immer noch Tausende gut bezahlte Industriearbeitsplätze. Ein abrupter Wegfall dieser wirtschaftlichen Basis hätte ohne Zweifel harte Konsequenzen. Peschel kennt die möglichen Folgen. Er hat es in den 90er Jahren miterlebt: Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, eine nie dagewesene Abwanderungswelle unzähliger junger Menschen.
Doch bis zum Kohleausstieg 2038 erhalten die Reviere diesmal vom Bund rund 40 Milliarden Euro Fördermittel. Auf die zu Brandenburg gehörende Niederlausitz entfallen 10,3 Milliarden Euro. Die Oberlausitz liegt bereits drüben in Sachsen. Mit dem Geld vom Bund könne der Strukturwandel koordiniert ablaufen, und es sei in den vergangenen fünf Jahren bereits eine Menge angeschoben worden, lobt Peschel. Er zeigt sich optimistisch, dass es klappen wird.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Hans-Christoph Berndt sieht dagegen schwarz. 5780 neue Jobs seien durch Ansiedlungen angekündigt. Das reiche keineswegs aus. In den Tagebauen und Kraftwerken würden 4500 Arbeitsplätze wegfallen und daran geknüpft 13 000 Jobs, rechnet er. Der CDU-Abgeordnete Julian Brüning hält dem entgegen: »Derzeit ist die AfD in Spremberg das größte Standortrisiko.« Sie habe in der Stadtverordnetenversammlung gegen die Ansiedlung einer Biomethanfabrik gestimmt und auch Stimmung gegen einen Kupferbergbau gemacht. Wirtschaftsminister Daniel Keller (SPD) weist darauf hin, dass die Arbeitslosenquote in der Lausitz unterdurchschnittlich sei. Sie betrage dort 5,9 Prozent, in ganz Brandenburg dagegen 6,2 Prozent.
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Doch zurück zu den ICE-Zügen, die in Cottbus keine Fahrgäste aufnehmen. Die AfD verlangt, dass sich die SPD/BSW-Landesregierung bei Bund und Deutscher Bahn nachdrücklich dafür einsetzt, dass dies geändert wird. Die anderen Parteien lehnen diesen Antrag jedoch ab. Warum, erklärt die Abgeordnete Martina Maxi Schmidt (SPD). ICE verkehren auf langen Strecken mit hoher Auslastung, beispielsweise von Berlin nach Hamburg oder München. Cottbus passt nicht ins Konzept. Doch ab 2027, wenn die Strecke zwischen Cottbus und Lübbenau nicht mehr eingleisig ist, werden zwei Regionalzüge pro Stunde nach Berlin abgehen, erinnert Schmidt. Derzeit fahren sie nur stündlich und sind oft unpünktlich.
Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) erläutert auf nd-Nachfrage: »Ein in Cottbus haltender ICE würde zwar schön aussehen, aber keinen einzigen Pendler schneller an sein Ziel bringen.« Denn die Bahnstrecke sei für die Höchstgeschwindigkeit solcher Züge nicht ausgelegt. Die Gleise dafür fit zu machen würde, wie er die Bahn kenne, die nächsten 15 bis 20 Jahre dauern. Görke nennt das »unsinnige Träumereien«. Den Pendlern würde es helfen, wenn sie auf dieser Strecke mit dem günstigen Deutschland-Ticket in IC-Züge einsteigen dürften, was leider abgeschafft wurde.
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