Neonazis aus den Augen verloren

Lausitzrunde wehrt sich nun gemeinsam gegen die rechte Partei »Der dritte Weg«

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Brandenburgs Innenminister René Wilke (für SPD) schaut am Donnerstag aus dem Bürgerhaus auf den Markt von Spremberg.
Brandenburgs Innenminister René Wilke (für SPD) schaut am Donnerstag aus dem Bürgerhaus auf den Markt von Spremberg.

Obwohl sich der Tag dem Abend zuneigt, ist es immer noch sehr warm in Spremberg. Ein älteres Ehepaar döst im Sonnenschein auf einer Bank, schaut auf den idyllischen Schwanenteich im Stadtpark. Die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Schwarze Pumpe sind von hier aus nicht zu sehen. Um sie zu erspähen, muss man die steile Treppe auf den Georgenberg mit dem Bismarckturm nehmen. Von dort aus ist das Kraftwerk in der Ferne gut zu erkennen.

Ganz nah sind hier Mahnmale für Opfer des Faschismus, für ermordete KZ-Häftlinge, und auch ein sowjetischer Soldatenfriedhof findet sich auf dem Georgenberg, gleich daneben die Gräber deutscher Soldaten, gefallen im Jahr 1945. So die Angaben zu den Toten nicht unbekannt sind, verraten die auf Grabplatten und Kreuzen eingemeißelten Lebensdaten, dass viele der Männer blutjung sterben mussten.

An Warnungen vor dem Wahnsinn von Krieg und Gewaltherrschaft fehlt es also nicht in Spremberg. Dennoch treibt hier zuletzt vermehrt die neofaschistische Kleinpartei »Der dritte Weg« ihr Unwesen, wie Brandenburgs Innenminister René Wilke (für SPD) am Donnerstag sagt. Wilke ist zu einem zweistündigen Gespräch mit Bürgermeistern der sogenannten Lausitzrunde in die Stadt gekommen. Man sitzt zwei Stunden beieinander in einem Raum mit großer Fensterfront und Glasscheiben auch nach innen zum Treppenhaus hin und berät, was getan werden kann und muss.

Zuvor hatte Bürgermeisterin Christine Herntier (parteilos) angesichts von geschmierten Hakenkreuzen und anderen Nazi-Aktivitäten nicht mehr wegsehen wollen und können – und öffentlich auf die gefährlichen Missstände hingewiesen. Sie musste sich deswegen von der AfD ankreiden lassen, eine Art Nestbeschmutzerin zu sein und nur Aufmerksamkeit erheischt zu haben. Doch Herntier versichert: Wer Spremberg so liebe wie sie, könne nicht wegsehen, wenn er das Problem erkenne. »Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht überschwemmt werden von einer rechtsextremen Welle.« Man wolle nicht, dass es wieder so werde wie in den schlimmen 90er Jahren.

In jener »nicht sehr schönen Zeit« ist Thomas Leberecht in Hoyerswerda aufgewachsen. Da wolle man nicht wieder hin, sagt er. Mit Baseballschlägern bewaffnete Skinheads waren durch die Straßen ostdeutscher Städte gezogen und hatten Jagd auf Linke und Ausländer gemacht. Die nach der politischen Wende verunsicherte Polizei schaute viel zu oft weg, erwies sich jedenfalls als machtlos, diesem Treiben konsequent ein Ende zu setzen.

Heute ist Thomas Leberecht CDU-Bürgermeister der sächsischen Gemeinde Lohsa, die auch zum kommunalen Zusammenschluss Lausitzrunde gehört. Er meint, die besseren Bedingungen der letzten Jahre hätten dazu geführt, dass man die Bekämpfung des Rechtsextremismus ein bisschen aus den Augen verloren habe.

Eine Arbeitslosenquote von verdeckt bis zu 50 Prozent herrschte vor 25 Jahren im Revier. Es gab eine flächendeckende Deindustrialisierung, erinnert Großräschens Bürgermeister Thomas Zenker (SPD), der die Geschicke seiner Stadt bereits seit 1994 lenkt. Von den Textilfabriken ist nichts übrig geblieben; in den Kohlekraftwerken und Tagebauen, in denen einst Zehntausende ihre Brötchen verdienten, arbeiten nur noch ein paar Tausend Menschen – und auch damit soll durch den Kohleausstieg spätestens 2038 Schluss sein.

Doch anders als befürchtet lässt sich jetzt der zweite Strukturwandel nach dem brachialen Umbruch der 90er Jahre viel besser an. In Cottbus wird das früher schon von Schließung bedrohte Bahnwerk nun erweitert, das bislang städtische Carl-Thiem-Klinikum wurde zu einer Universitätsklinik und soll dem Ärztemangel abhelfen. Es werden auch nach dem Kohleausstieg Arbeitskräfte gesucht und nicht Arbeitsplätze, sagen Studien voraus. Die Jugend muss nicht wie vor 20 und 30 Jahren in den Westen abwandern, um ihr Auskommen zu finden. Es wird im Gegenteil dafür geworben, dass einst Weggezogene heimkehren.

»Junge Leute haben Chancen wie noch nie in den vergangenen Jahrzehnten«, sagt Kommunalpolitiker Zenker. Dennoch habe sich die Gefühlslage nicht verbessert, bedauert er. Das findet seinen Niederschlag in den Wahlergebnissen. Bei der Bundestagswahl im Februar erzielte die AfD im Landkreis Spree-Neiße 43 Prozent der Stimmen und in der Stadt Spremberg 45,5 Prozent.

Eine Aktivistin von »Unteilbar Spremberg« entfernt am 16. August einen Nazi-Aufkleber.
Eine Aktivistin von »Unteilbar Spremberg« entfernt am 16. August einen Nazi-Aufkleber.

Allerdings möchte Innenminister Wilke die Diskussion über die AfD nicht vermischen mit den Sorgen wegen des »Dritten Weges«, der am 16. August in Spremberg aufmarschierte – und dabei auf eine Gegendemonstration des Bündnisses »Unteilbar Spremberg« traf, an der sich Bürgermeisterin Herntier beteiligte.

Zu möglichen Ergebnissen des zweistündigen Gesprächs am Donnerstag bemerkt Innenminister Wilke anschließend, man sei nicht darauf aus gewesen, heute gleich zu erklären, wie die Welt morgen aussehen solle. Es brauche aber einen »Konsens der Anständigen«, dass man sich mit dem »Dritten Weg« nicht gemein machen dürfe, dass diese Partei »gar nicht geht«. Es sei vielleicht naiv gewesen zu glauben, dass sich die Menschen von Desinformation schon nicht würden täuschen lassen, sagt Wilke. Deshalb sei nun verstärkte Aufklärung gefragt. »Das direkte Gespräch, das In-die-Augen-Schauen, funktioniert immer noch am besten.« Doch auch im Internet, wo Neonazis hochprofessionell Stimmung machen, soll ihnen entgegengetreten werden.

Außerdem habe er mit den Bürgermeistern über Videoüberwachung gesprochen, die eine abschreckende Wirkung haben könnten gegen das Schmieren von Parolen, verrät der Innenminister. Er wolle den Kommunen dazu durch eine Gesetzesänderung »Beinfreiheit« verschaffen, kündigt Wilke an.

»Ich bin nach wie vor ein glühender Verfechter der Videoüberwachung«, gesteht Gubens Bürgermeister Fred Mahro (CDU). Dass »ACAB« an die Wände gesprüht werde, habe leider extrem zugenommen. Das Kürzel steht für »All Cops are Bastards« (Alle Polizisten sind Bastarde) und ist übrigens nicht zuletzt auch in der linksradikalen Szene beliebt, außerdem jedoch bei Hooligans. In Spremberg findet sich an der Bahnhofstraße ein großer ACAB-Schriftzug nicht von ungefähr direkt neben einem Bekenntnis zum FC Energie Cottbus. Der Fußballklub ist dafür bekannt, dass sich in seiner Fanszene zahlreiche Neonazis tummeln.

Aber die Lausitz sei nicht bloß eine »braune Soße«, beteuern mehrere Bürgermeister. Dass Neonazis »die Köpfe vergiften, die Herzen vergiften« wollen, so sagt Minister Wilke, dies gebe es »landesweit, weltweit«.

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