X-mal Deutschland

Der US-Youtuber James Bray hat sich in die deutsche Kultur verliebt. Hunderttausende schauen ihm beim Entdecken von Autobahn, Hamburg und Hanuta zu.

  • Antonia Leise
  • Lesedauer: 4 Min.
Woher kommt die Faszination für James Brays Faszination?
Woher kommt die Faszination für James Brays Faszination?

Dass James Bray die Deutschen für sich entdeckt hat, war eigentlich ein Zufall. Vor mehr als sieben Jahren begann die Youtube-Karriere des US-Amerikaners mit Live-Reactions auf Musikvideos. Als er begann, mehr Videos über internationale Künstler zu drehen, hätten die Deutschen, so erzählt Bray in einem Video aus Hamburg, einfach irgendwie »die Kommentare übernommen«.

Durch ein deutsches Musikvideo kam Bray so auf den Aachener Youtuber Julien Bam – und der auf ihn. Zusammen mit Bams Abonnenten. Und plötzlich waren da noch viel mehr Deutsche in Brays Kommentaren und wollten mehr über ihn wissen. »Ich wollte mit euch sprechen können«, sagt Bray einige Jahre später, den Hamburger Abendverkehr im Hintergrund. »Ich wusste damals ja noch nicht, dass ihr alle Englisch könnt.« Ein bisschen Deutsch gelernt hat er seitdem trotzdem.

Mittlerweile macht Bray seit mehr als sechs Jahren Youtube-Videos über Deutschland, dessen Einwohner und deren Kultur. Und ein paar Mal zu Besuch war er seitdem auch. Es gibt Videos von Bray in Köln, Aachen (»Aachen ist dope!«), Trier und Hamburg (seine deutsche Lieblingsstadt). Videos über deutsche Süßigkeiten (und die Frage, ob Knoppers oder Hanuta nun besser ist). Über den Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Schulen. Die deutsche Bahn. Die »Heute-Show«. Die berühmt-berüchtigte Autobahn. Die deutsche Polizei.

»Der erste Schritt zum Weltfrieden wäre, dass jeder mindestens ein Mal mit der DB irgendwo hinfährt. Durch das gemeinsame Trauma würden wir alle enger zusammenwachsen.«

James Bray

Und mehr als eine halbe Million von Brays Abonnent*innen schalten regelmäßig ein. Sein beliebtestes Video hat mehr als zwei Millionen Aufrufe. Woher kommt also diese Faszination für Brays Deutschland-Faszination? Und wieso funktioniert das?

Was als Erstes auffällt, wenn man auf eines von Brays Videos klickt, ist, dass sich da jemand wirklich mit Deutschland beschäftigen will. Bray findet viele Dinge gut, aber bei Weitem nicht alles. »Eine Menge Leute denken, dass ich keine Fehler [an Deutschland] sehe, wenn ich diese Videos mache«, erklärt er in seinem Video »Germany… WHY?« kurz nach der Wahl 2024, als die AfD zweitstärkste Kraft geworden war. »Aber es gibt Probleme in jedem Land.« Und eben auch in einem, das er eigentlich sehr mag.

Auf Brays Kanal geht es nicht in erster Linie um klassische Politikanalysen. Es geht um Kultur und darum, wie schön es sein kann, mehr über die eines anderen Landes herauszufinden – ohne automatisch alles gutzuheißen oder zu verstehen. Und es geht darum, keine Angst vor dem Fremden zu haben: »Man muss seine Komfortzone verlassen und sich die Welt selbst anschauen, statt sich von anderen Leuten sagen zu lassen, wie man sie zu verstehen hat.«

Bray dabei zuzusehen, wie er seine eigene Komfortzone verlässt und Deutschland erkundet, macht auch (und vielleicht gerade) Spaß, wenn man selbst in Deutschland aufgewachsen ist. Er sei beispielsweise vor dem »German Stare« gewarnt worden – die Tendenz der Deutschen, andere anzustarren. Das Starren, so Bray, sei allerdings weniger unhöflich und mehr kulturell bedingt. Da kommt man gar nicht drumherum, die eigenen Starrtendenzen zu hinterfragen.

Als deutsche*r Zuschauer*in staunt man außerdem ein bisschen darüber, dass andere Länder keine Toiletten haben, für die man bezahlen muss, oder viele US-Amerikaner*innen sich nicht vorstellen können, keine Flagge vor einer Schule zu hissen. Mit Brays Videos lernt man also nicht nur einiges über das eigene Land, sondern auch über die USA. Und das ist immerhin ein Austausch – mit gegenseitigem Interesse und Respekt –, der in der derzeitigen politischen Weltlage immer seltener geworden ist.

Brays Content anzuschauen, macht Spaß, weil man das Gefühl hat, sein Urheber hatte Spaß dabei, ihn zu produzieren. »Ich habe einige Freunde fürs Leben in Deutschland gefunden«, sagt Bray an einer Stelle. Und ja, dass hier tatsächlich Brücken gebaut werden, glaubt man ihm direkt.

So lässt sich vielleicht nicht jede Form der Polarisierung überbrücken, aber eine Idee, wie man es zumindest versuchen könnte, hat Bray: »Ich glaube, der erste Schritt zum Weltfrieden wäre, dass jeder Deutschland besucht und mindestens ein Mal irgendwo mit der Deutschen Bahn hinfährt«, erklärt er in seinem Video. »Ich bin der Überzeugung, wir würden alle durch dieses gemeinsame Trauma enger zusammenwachsen.« Nun gut. Wir könnten es ja zumindest mal versuchen.

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