»Viele Eigentore zeigen ein Problem«

Polizeipannen in Sachsen-Anhalt: Grüne rügen Mittelbau / Besorgniserregende Demotivation

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Polizei in Sachsen-Anhalt steht wegen einer Pannenserie im Umgang mit Rechtsextremismus in der Kritik. Die Grünen haben viele Fälle untersucht und sehen vor allem Mängel auf der mittleren Führungsebene.

Am 10. Dezember kommt es im Landtag von Sachsen-Anhalt zu einem spannenden Aufeinandertreffen. Vor einem Untersuchungsausschuss sagen drei Dessauer Staatsschützer und ihr früherer Vorgesetzter aus. Der Vizechef der Polizeidirektion soll seine Untergebenen bei ihren Ermittlungen gegen Rechts gebremst haben: Sie müssten, habe er zu verstehen gegeben, ja »nicht alles sehen«.

Glaubt man Christoph Erdmenger, dem Landeschef der Bündnisgrünen, steht der Fall exemplarisch für Defizite in der Polizei, die zu einer ganzen Serie öffentlich bekannt gewordener Pannen im Umgang mit Rechts führten. Nicht zuletzt auf der mittleren Führungsebene gebe es ein mangelndes Problembewusstsein, sagte er bei der Vorstellung des Berichts einer Arbeitsgruppe, die sich seit Juli mit dem Thema befasste. Die Pannen nennt er »Eigentore« – und fügt hinzu: »Eine Serie von Eigentoren weist auf ein grundlegendes Problem.«

Über die Selbsttore der Polizei in Sachsen-Anhalt wird bundesweit seit Monaten berichtet. Zunächst sorgte das Unwissen zweier Beamter nach der Verbrennung eines Anne-Frank-Tagebuchs in Pretzien für Schlagzeilen. Die Serie reißt seither nicht mehr ab: Vor dem Überfall auf einen Jugendclub in Gerwisch wurden Warnungen nicht ernst genommen, bei Angriffen auf Schauspieler in Halberstadt und eine vietnamesische Familie in Burg falsch reagiert. Erst vorige Woche wurden schlampige Ermittlungen nach dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Sangerhausen bekannt.

Erdmenger betont zwar, die Polizei sei »nicht auf dem rechten Auge blind«. Es gebe aber »strukturelle Defizite beim polizeilichen Umgang mit Rechtsextremismus«. Das Papier, an dem Mitarbeiter Mobiler Beratungsstellen mitwirkten, nennt einen unzureichenden Wissensstand über die rechte Szene und deren Wandel nicht zuletzt bei Vorgesetzten, was zu falschen Lageeinschätzungen führe, und fehlendes Einfühlungsvermögen gegenüber den Opfern rechter Übergriffe. Zudem würden Vorfälle unter der Decke gehalten. Kritikwürdige Verhaltensmuster würden »von oben toleriert oder sogar gedeckt«, sagt Erdmenger.

Dass Führungskräfte wie Innenminister Holger Hövelmann oder Polizeipräsident Jochen Lottmann offensiv auf die Vorfälle reagierten, die letzterer eine »Perlenkette von Fehlleistungen« nannte, honoriert der Bericht. So hatte der Minister einen offenen Brief an alle Polizisten geschrieben. Das Problembewusstsein müsse aber »auf allen Führungsebenen ankommen«, sagt Uta Leichsenring, langjährige Polizeipräsidentin im Land Brandenburg und Mitglied der Arbeitsgruppe. »Die Beamten müssen merken: Mein Vorgesetzter steht dahinter«, so Leichsenring, die auch von »Chefsache« spricht.

Leichsenring geht nicht davon aus, dass die Defizite in der Polizei Sachsen-Anhalts überdurchschnittlich sind: »Sie ist nicht besser oder schlechter als andere.« Angemerkt wird aber, dass der Altersdurchschnitt besonders hoch sei. Auch hätten Umstrukturierungen, Beförderungsstopp und der hohe Krankenstand die Lage verschärft. Laut Bericht sprach Hövelmann gegenüber der Arbeitsgruppe von einer »Demotivationslage in der Polizei, die besorgniserregend ist«.

Die Dessauer Polizeiaffäre zeigt indes, wie auch vorhandene Motivation gebremst werden kann. Nachdem eine Untersuchung im Ministerium den Polizeivize weitgehend entlastete, wird nun die Anhörung im Dezember zeigen, wie im Polizeialltag mit dem Thema Rechts tatsächlich umgegangen wird.

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