Der aufhaltsame Aufstieg der Folterknechte

Tag der Menschenrechte: Wie »Waterboarding« und andere Torturen legalisiert werden sollen

  • Peter Richter
  • Lesedauer: 6 Min.

Zuerst wird der Gefangene an Händen und Füßen auf einer Holzpritsche gefesselt, Dann legt man ihm ein dickes, schweres Tuch über den Kopf, auf das anschließend über einen Schlauch ständig Wasser fließt. Das Gewebe presst sich ans Gesicht, das Wasser lässt keine Möglichkeit zu atmen. Der Gefolterte gurgelt, hustet, keucht; er glaubt zu ertrinken, zu ersticken. Kurz wird das Wasser abgestellt, und er hört die Fragen der Folterknechte. Antwortet er nicht, setzen sie die Prozedur fort.

Das Verfahren nennt sich »Waterboarding« und ist jüngst zu trauriger Berühmtheit dadurch gelangt, dass es von einem designierten US-amerikanischen Justizminister zwar als »widerwärtig« bezeichnet, gleichwohl aber als Verhörmethode gegenüber Verdächtigen nicht abgelehnt wurde. Dies, so der inzwischen auch von Demokraten bestätigte Ressortchef Michael Mukasey, könne nur in jedem Einzelfall beurteilt werden. Vor fünf Jahren aber war diese Foltermethode selbst vom damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld noch abgelehnt worden; dass sie heute die stillschweigende Billigung der Administration erfährt, zeigt, wie sehr Folter inzwischen legalisiert und damit praxis-tauglich gemacht wurde – und das ausgerechnet von den USA, die sich ansonsten weltweit als Hort von Demokratie und Menschenrechten darstellen.

Legalisierung per Geheimpapier
Dabei ist die Rechtslage eindeutig. In der kommenden Montag vor 59 Jahren von der UNO beschlossenen Menschenrechtskonvention heißt es im Artikel 5: »Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.« Die Anti-Folter-Konvention von 1984 nennt Folter »jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden«, bestimmt allerdings auch: »Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.« Auf diese Einschränkung heben die USA vor allem seit dem 11. September 2001 ab und nehmen das Recht für sich in Anspruch, ganz eigenständig darüber zu entscheiden, was Folter sei und was nicht. Sie ignorieren damit nicht nur die klaren Festlegungen internationalen Rechts, sondern auch das elementare Rechtsempfinden der meisten Menschen.

Das zeigte sich bereits kurz nach den Anschlägen in den USA, als ein geheimes Papier bei Streitkräften und Geheimdiensten in Umlauf kam, das Verhörtechniken legalisieren sollte, bei denen dem Verdächtigen solche Schmerzen zugefügt würden, die jenen bei Organversagen, dem Ausfall von Körperfunktionen und anderen tödlichen Verletzungen vergleichbar seien. Dazu gehörten damals auch Todesdrohungen gegenüber dem Gefangenen und seinen Angehörigen und eben das »Waterboarding«. Einige der Verhörspezialisten mögen angesichts der offensichtlichen Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens – auch nach US-Gesetzen ist jeder Akt gegen Häftlinge, der »spezifisch beabsichtigt, schwere physische oder mentale Schmerzen« zu verursachen, verboten – Bedenken gekommen sein. Sie verlangten von ihrem Dienstherr eine Genehmigung solcher Methoden. Damals lehnte Rumsfeld diese exzessiven Praktiken ab, befürwortete aber immerhin Ende 2002 unter anderem die Bedrohung durch Hunde, Nacktheit bei Verhören, die bis zu 20 Stunden dauern konnten, langes Stehen oder Verharren in unnatürlichen, schmerzhaften Haltungen sowie Schläge, was mit »milden, nicht zu Verletzungen führenden physischen Kontakten« verharmlost wurde. Aus dieser Liste wurden einige Wochen später besonders erniedrigende Foltermethoden wieder gestrichen, doch ansonsten hatten die Folterknechte weitgehend freie Hand – gemäß der Erklärung des damaligen Chefs der CIA-Terrorbekämpfung, Cofer Black, vor dem US-Kongress: »Es gibt eine Zeit vor dem 11. September und eine danach; nach dem 11. September legten wir die Samthandschuhe ab.«

Wie solch höchstautorisierte Entlastung bei der US-Army wirkte, zeigten vor mehr als drei Jahren die Fotos aus dem einst irakischen, danach amerikanischen Folterzentrum Abu Ghoreib. In der Gewissheit, das Richtige, nämlich das von ihrem obersten Befehlshaber Genehmigte zu tun, empfanden die GIs das Foltern offensichtlich als ein Unterhaltungsspiel und mithin auch nichts dabei, sich mit ihren Opfern vor der Kamera zu präsentieren und dann diese Zeugnisse eigenen »Heldentums« auch noch zu publizieren.

Sie handelten damit genau nach dem Muster des sogenannten Milgram-Experiments. 1961 hatte der Yale-Professor Stanley Milgram Versuchspersonen in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe bekam Elektroden angelegt, über die die andere Gruppe ihnen Stromschläge verabreichen konnte. Das sollte immer dann geschehen, wenn die Probanden auf vorgegebene Fragen falsch antworteten – und zwar mit steigender Dosis, sobald sich die Fehler wiederholten. Die »Opfer«-Gruppe erhielt zwar tatsächlich keine Stromschläge, sollte die Reaktionen aber spielen – von verbalem Protest über Schmerzensschreie, körperlichem Zusammenbruch bis zu scheinbarer Bewusstlosigkeit. Erst bei vorgeblich 300 Volt äußerten die ersten Versuchspersonen Bedenken, worauf ihnen der Versuchsleiter die Fortsetzung des Experiments befahl. Und 63 Prozent erhöhten tatsächlich die Dosis bis auf 450 Volt; jeder Dritte folgte sogar der Anweisung, zur Verstärkung der Wirkung die Hand des laut schreienden Gegenübers auf eine Metallplatte zu pressen.

Neues Denken: verschärfte Praxis
Milgram schlussfolgerte daraus, dass erstens beinahe jeder Menschen zu sadistischem Handeln fähig sei, und zweitens er dazu besonders dann bereit ist, wenn er sich durch einen Befehlsgeber gedeckt fühlt. Die Sozialpsychologin Susan Fiske konstatierte: »Menschen können unglaublich destruktiv handeln, wenn es ihnen von legitimierten Autoritäten befohlen wird.« Wohl auch deshalb ist die Bush-Administration nicht bereit, Folterpraktiken eindeutig zu verurteilen. Zwar erklärte der Präsident: »Wir dulden keine Folter. Ich habe niemals Folter angeordnet. Ich werde niemals Folter anordnen«, doch meint er damit eben etwas anderes als die Menschenrechtskonvention, die er gleichzeitig in Frage stellt, wenn er ein »neues Denken« in Bezug auf das Kriegsrecht verlangt. Die Praxis bleibt derweil unverändert und ist eher wieder verschärft worden, wie das Beispiel des »Waterboarding« belegt. Wie Bush die Prioritäten setzt, zeigt die Reihenfolge der Attribute, mit denen seine Sprecherin Dana Perino die Verhörpraktiken beschreibt: »Alle Methoden, die wir einsetzen, sind hart, sicher, notwendig und gesetzlich.«

Die Auswirkungen solcher Relativierung des Folterverbots der UNO zeigen sich weltweit – nicht nur in Diktaturen, wo anderes nicht erwartet wird, sondern ebenso in Staaten, die sich demokratisch nennen. Sie sind auch hierzulande zu spüren – etwa wenn Innenminister Wolfgang Schäuble nichts dabei findet, die Ergebnisse von Verhören unter Folter zu verwerten oder gar deutsche Beobachter an derartigen »Befragungen« teilhaben zu lassen. »Wenn wir sagen würden, Informationen, bei denen wir nicht sicher sein können, dass sie unter vollkommen rechtsstaatlichen Bedingungen zu erlangen waren, nutzen wir unter keinen Umständen – das wäre völlig unverantwortlich«, sagte er und kommentierte das Verhör eines Deutschen in Syrien durch BKA-Beamte ziemlich nassforsch: »Ein paar Monate Haft haben schon manchen bewegt auszupacken, damit arbeitet die deutsche Strafverfolgung doch auch.« Und wie es sich in der Großen Koalition gehört, erhielt er Schützenhilfe von der SPD. Deren außenpolitischer Fraktionssprecher Gert Weißkirchen, der ansonsten gern die Fahne des Menschenrechtlers aufzieht, sieht keinen Widerspruch darin, dass seine Partei die »Institution Guantanamo« verurteilt und gleichzeitig akzeptiert, dass deutsche Ermittler dort Verhöre durchführen. Es müsse stets »zwischen dem Schutzbedürfnis Deutscher und grundsätzlichen Überlegungen« abgewogen werden.

Und dennoch ist der Aufstieg der Folterknechte in die Legalität aufzuhalten. Nicht nur, weil sie sich ins Unrecht setzen, sondern vor allem, weil sich Widerstand lohnt. Wenn es diesen in den USA nicht gäbe, würde George W. Bush seine Direktiven kaum hinter dem Schleier der Geheimhaltung verbergen. Und auch in Deutschland stößt das Ignorieren der völkerrechtlichen Ächtung der Folter auf Kritik, die die Regierung – zum Beispiel im Untersuchungsausschuss des Bundestages über illegale BND-Praktiken – nur mühsam unter Kontrolle halten kann. Selbst Milgram fand in seinen Experimenten einen positiven Aspekt. Als er einige seiner Probanden insgeheim aufforderte, entschieden gegen die Erhöhung der Stromstöße zu protestieren und sich schließlich zu verweigern, sank die Zahl jener, die dennoch mit der Quälerei weitermachten, von ursprünglich 63 auf zehn Prozent.

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