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Russlands künftige Doppelspitze

Auch einheimische Kreml-Astrologen spekulieren fleißig weiter

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Wer hängt sich künftig wessen Bild ins Arbeitszimmer? Und wer fährt zu wem zum Rapport? Wladimir Putin zu Dmitri Medwedjew oder umgekehrt? Während die Massen sich um Kleinkram sorgen, zerbrechen Experten sich den Kopf darüber, wie die künftige Gewaltenteilung in Russland aussehen könnte und ob sie überhaupt funktioniert. Wenn ja, so der Tenor, wahrscheinlich nicht für lange.

Russlands politische Tradition kennt keine Doppelspitze. Genau darauf aber läuft das Arrangement hinaus, das auf dem Wahlkongress der Partei »Einiges Russland« zu Wochenbeginn beschlossen wurde: Wenn Dmitri Medwedjew die Präsidentenwahlen am 2. März gewinnt, was als sicher gilt, steht Putin seinem Famulus als Regierungschef zur Verfügung.

Nach gegenwärtigem Rollenverständnis ist der Präsident Stratege, Visionär und globaler Krisenmanager in Personalunion. Er heimst Lob für Erfolge ein, für Misserfolge dagegen ist der ihm unterstellte Vorsitzende der Regierung zuständig – eine Art Hausmeier, der sich in den Niederungen der Tagespolitik verschleißt: Haushalt, Soziales, Winterbevorratung für die Regionen in der Arktis ...

Gefragt ist daher ein Wirtschafts- oder Verwaltungsfachmann. Putin ist weder das eine noch das andere. Noch dazu dünnhäutig und an Kritik nicht gewöhnt, dürfte er daher sowohl mit der Rolle des Blitzableiters als auch mit dem sozialen Abstieg Probleme haben. Denn Änderungen der Gewaltenteilung und damit der Verfassung stehen, wie er selbst wiederholt erklärte, nicht zur Diskussion.

Dazu kommt, wie Stanislaw Belkowski vom Institut für nationale Strategien zu bedenken gibt, dass Schlüsselressorts dem Präsidenten direkt unterstehen. Auch habe Putin selbst die Vollmachten der Regierung in seiner zweiten Amtszeit immer wieder beschnitten. Vor allem, um die staatsnahen Monopole wie Gasprom, Rosneft, Rostelekom oder die russischen Staatsbahnen, in deren Aufsichtsräten seine Vertrauten sitzen, der Kontrolle durch das Kabinett zu entziehen. Sie, so Belkowski, funktionieren inzwischen als »konkurrierendes paralleles Netzwerk«, das auf persönlicher Loyalität gegenüber dem Präsidenten als Spitze der Machtpyramide beruht. Eben diese »Konfiguration der Macht« würde durch das Tandem Putin-Medwedjew in Frage gestellt.

Aus der bisherigen Vertikale der Macht, fürchtet auch Dmitri Oreschkin vom Forschungszentrum Mercator, werde eine Horizontale. Eine Doppelherrschaft indes bekomme Russland nicht, wie die Zeit zwischen Februar- und Oktoberrevolution 1917 gezeigt hat. Auch Putin sei sich dieser Gefahren bewusst, die Nominierung Medwedjews daher womöglich noch nicht das Ende des Gerangels um die Nachfolge Putins. Die »Tschekisten« – glaubt Oreschkin – würden sich mit dem Sieg der Liberalen, als deren Vormann Medwedjew betrachtet wird, nicht abfinden. Sie könnten versuchen, diesen durch ein Schwergewicht aus den eigenen Reihen zu neutralisieren – wahrscheinlich durch den derzeitigen Regierungschef Viktor Subkow.

Auch Nikolai Petrow von der Moskauer Carnegie-Stiftung sieht in der Bildung des Tandems Putin-Medwedjew nur einen Etappensieg der Liberalen, deren »Glücks-strähne bald abreißen« werde: Putin müsse das Gleichgewicht der rivalisierenden Gruppen in seiner Landsmannschaft wiederherstellen. Anderenfalls mache er sich als oberster Schiedsrichter in deren Machtkampf überflüssig und hätte damit auch seinen Anspruch auf eine tragende Rolle in der russischen Politik verwirkt.

Für den nach London entwichenen Multimilliardär Boris Beresowski, der sich in den Kabalen bei Hofe bestens auskennt, zumal er unter Boris Jelzin deren Strippen zog, ist das Tandem nur ein Rauchvorhang. Russlands kollektives Bewusstsein, so wurde Beresowski in russischen Medien zitiert, verharre im Feudalismus und könne mit zwei Zaren gleichzeitig nichts anfangen. Die reale Macht bleibe daher zunächst bei Putin. Mittelfristig sei das Tandem jedoch zum Scheitern verurteilt und der Sieger würde nicht Putin, sondern Medwedjew heißen.

Mit Beresowski ging, seit er in Ungnade fiel, bekanntlich schon öfter das Wunschdenken durch. Wahr ist aber auch, dass schon die Spekulationen über mögliche Halbwertzeiten der Doppelspitze die Atmosphäre vergiften könnten.

Sogar kremlnahe Politologen wie Sergej Markow, der für »Einiges Russland« in der neuen Staatsduma sitzen wird, befürchten Reibungsverluste. Markow hält zwei Szenarien für wahrscheinlich: Allmähliche Übertragung der realen Befugnisse von Putin auf Medwedjew. Sollte das nicht funktionieren, tritt Medwedjew zurück Amtierender Präsident wird dann automatisch der Premier. Putin kennt das Spiel schon: Im August 1999 zum Regierungschef ernannt, wurde er nach Jelzins Rücktritt zu Silvester amtierender Kremlchef.

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