DNA unterm Mistelzweig?

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Vignette: Chow Ming
Vignette: Chow Ming

Ein alter Brauch: Wer unter einem Mistelzweig mit den weißen Beeren steht, darf auf der Stelle geküsst werden. Ein allererster Test, ob die »Chemie« stimmt.

Kann man die Chemie zwischen Partnersuchenden messen? Vor zwei Wochen wurde in Boston ein neuer – wissenschaftlicher – Partnerschafts-Service gestartet. Wer im Internet auf die Website »www.ScientificMatch.com« geht, bekommt erstmal eine Aufklärung über das Verfahren. Nach Einsenden einer DNA-Probe und Zahlung von schlappen 1999 US-Dollar sucht der DNA-Matching-Service die für den Kunden »biochemisch passenden« Partner. Kriterium: Ihre Gene für den sogenannten MHC-Komplex sind von denen des Kunden deutlich verschieden. MHC ist die Abkürzung für den Major Histocompatibility Complex (Haupt-Gewebeverträglichkeits-Komplex) und ist wichtig bei der Immunabwehr.

Dieser Eiweiß-Komplex wird in jedem Organismus individuell produziert, Körperflüssigkeiten tragen Spuren davon nach außen. Mäuseweibchen verlassen sich bei der Partnersuche z.B. ganz auf das Vomeronasalorgan, ihre zweite Nase. Sie bevorzugen stark differierende MHC-Partner. Der Nutzen? Die Mischung zweier unterschiedlicher Immunanlagen bringt für den Nachwuchs ein breites, vielseitiges Immunsystem – vorteilhaft für sein Überleben.

Liebe geht bekanntlich nicht nur durch den Magen, sondern auch über die Nase. Auch »Nicht-Mäuse« nehmen chemische Botschaften vom anderen Geschlecht wahr. Unsere Haut sondert individuelle Duftnoten – Signale des individuellen MHC-Komplexes – ab. Bereits vor Jahren hatte die amerikanische Biologin Martha McClintock herausgefunden, dass Frauen den Duft verschwitzter Männer-T-Shirts bevorzugten, deren Träger deutlich andere MHC-Moleküle produzierten als sie selbst.

Zurück zum DNA-Matching-Service: Man finde so todsicher die Liebe seines Lebens, behauptet Test-Anbieter Eric Holzle – selbst ein Langzeit-Partnersuchender. Seine Firma analysiert drei Gene, alle für HLA (Humanes Leukozyten Antigen). Sie unterscheiden sich von Mensch zu Mensch deutlich und sollen auch unseren Körpergeruch beeinflussen. Gesucht wird auf Basis der eingeschickten Speichelprobe nach den »Partnern« mit größtmöglichen HLA-Gen-Unterschieden. Voraussetzung ist natürlich eine große Teilnehmerzahl. Bezahlt wird deshalb erst, wenn zwei bis drei passende Kandidaten gefunden worden sind.

So einfach ist das also mit der Liebe, reine Biochemie? Nein, nein! beschwichtigt die Firma. Natürlich werden auch wie üblich die Persönlichkeitsstruktur, Vorlieben, das Alter abgefragt. Aber der Einstieg ist eben die DNA.

Eric Holzle listet dann die Vorteile des Verfahrens auf. Er beruft sich auf (nur!) eine Untersuchung an Menschen: Mit verschiedenen MHCs ausgestattet, könne man sich besser »riechen«, habe besseren Sex, folglich zeigten die Partner größere eheliche Treue.

Wenn mit der Liebe alles so einfach wäre! Craig Roberts von der University of Liverpool fand das ganze Gegenteil heraus: den Trend zum Partner mit einem ähnlichen Histokompatibilitäts-Komplex. In den Versuchen wurden bei den 92 Frauen und 75 Männern die unterschiedlichen MHCs analysiert. Danach erhielten die Probandinnen Fotos der 75 Männer. Frauen fanden visuell jene Männer attraktiv, die ähnliche MHCs aufwiesen. Roberts vermutet, dass die Partnersuche sich zuerst am Gesicht orientiert und erst danach an den duftenden Reizen. Es deute auf den Wunsch nach kultureller Gleichheit hin, meint auch Claus Wedekind von der Harvard University. Man bliebe meist bei der Partnersuche unter »seinesgleichen«.

Also, gute Leute, bleibt vorerst lieber beim bewährten Mistelzweig, das ist auch preiswerter! Dazu noch ein »praktischer« Rat einer britischen Internetseite: »Die Tradition besagt: jede/r unter einem Mistelzweig darf, muss allerdings nicht geküsst werden. Diese Strategie empfiehlt sich daher nur für Situationen, in denen man fest davon überzeugt ist, dass jemand tatsächlich gerne geküsst werden möchte, sich aber selbst nicht traut.«

So ausgerüstet für alle Eventualitäten wünscht die Biolumne ein gutes neues Jahr!

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