Kolossales Knossos

Jannis Kounellis bespielt die Nationalgalerie archaisch

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 5 Min.

Rätselhafte Neue Nationalgalerie: Gigantische Stahlkästen und korrodierende Platten aus dem nämlichen Material flankieren ein mysteriöses Wegesystem, dessen Oberkanten wie die Zinnen einer trutzigen Burg von Häufchen aufgeschütteter Kohlesplitter bekrönt sind. Betritt man die monumentale Architektur, stellt man schnell fest, dass sie dem vertrackten Plan eines Labyrinths folgt. Eigentümliche Assemblagen säumen diesen verschlungenen Weg innen und außen, mal türmen sie sich auf, winden sich als Kolossalschrauben in die Höhe, mal wuchern aus den Ritzen einer sechs mal neun Meter großen massiven Platte amöbenförmige Gebilde, die sich bei näherem Hinsehen als zersplitterte Fragmente von Gipsmasken mit Faserresten vor glänzender Bleimasse entpuppen. Über all der Grandezza triumphiert ein fragiles Hühnerei – behauptet sich tapfer in dieser kraftstrotzenden Welt.

Der Schöpfer all dieser Kohle- und Stahlgebilde, welche die Wucht der Materie anprallen lassen an zarteste und empfindlichste Organismen, ist in Berlin kein Unbekannter: Jannis Kounellis, Grieche aus Rom, hat bereits 1982 und 1988 die Nationalgalerie bespielt. Manche werden sich an seine Installationen mit Propangas oder Stahlarrangements erinnern. Nun also ermöglichen die »Freunde der Nationalgalerie« ihm eine Einzelausstellung an prädestiniertem Ort. Schließlich orientierte sich Mies van der Rohe bei seinem Berliner Bau am Typ des griechischen Podiumstempels.

Das »Einrichten« – wie es landläufig bei Großprojekten dieser Art heißt – hat der Künstler selbst in die Hand genommen. So exponiert der Tempel der Moderne am Kulturforum steht, so verhängnisvoll kann sich seine Ikonenhaftigkeit und vor allem seine Transparenz für jeden auswirken, der hier seine Einzelwerke präsentieren möchte. »Jannis Kounellis hat sich im Vorfeld eingehend mit diesen Ort auseinandergesetzt, ihn intensiv auf sich wirken lassen«, erinnert sich Kuratorin Anke Daemgen. »Und dann ging es auf einmal ganz schnell: Kounellis skizzierte ein Labyrinth und wob verschiedene Einzelwerke ein.« Dieses »Heureka!« hat der 1936 in Piräus geborene Künstler freilich mit der Muttermilch eingesogen. Den Faden der Ariadne durch sein Kohleknossos indes verweigert er beharrlich. Die Festlegung auf einen bestimmten Duktus, einen unverwechselbaren Stil, ist ihm suspekt. So unterlief schon der junge Künstler, der als 20-Jähriger zum Studieren nach Rom kam, blieb, dort mit hieroglyphenhafter Malerei à la Klee reüssierte, trotzig die an ihn geknüpften Erwartungen: »Ich hörte mit den Schriftzeichengemälden auf, da man begann, sie als einen Stil zu sehen. In den nächsten drei Jahren schuf ich sechs Seestücke.«

Zum Boykottieren jedweder Festlegung passt Kounellis' große Sympathie für die Metamorphose. Gleich im Entree wird der Besucher mit einem Ensemble von zusammengerückten urigen Holztischen konfrontiert, auf denen mit dicker weißer Farbe betagte Nähmaschinen fixiert wurden. Und in die Zwischenräume stopft er besagte Säcke, aus denen die Kohle keck hervorlugt. Dahinter eine andere Arbeit, in der aus einem langen Doppel-T-Träger aus sanft gewundenen Jutesäcken mordsgefährlich vier Messerklingen aufblitzen. Unwillkürlich denkt man an die »zufällige Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf einem Seziertisch«, die Urdefinition des Surrealismus.

Beim Durchwandeln des Labyrinths entdecken wir unentwegt solche bizarren Kombinationen. Wiederum in Doppel-T-Trägern scheint er akkurat kunterbunte Stoffballen wie in einem Tuchgeschäft sortiert zu haben. Diese entpuppen sich beim Nähertreten aber als Bleirollen, zwischen denen er Lagen von Stoff eingewickelt hat wie bei einem Strudelteig. Überhaupt weicht das zunächst als monoton wahrgenommene Schwarz-Grau einer subtilen Farbigkeit, wie sie sich nach langen Wanderungen im Gneis der Gebirge einstellt. Der Meister der Inszenierung – Kounellis war auch als Bühnenbildner erfolgreich – ummantelt krude Gesteinsbrocken geradezu liebevoll mit Jutesäcken, die er zu Dreiecken drapiert, was an Vogelhäuschen erinnert. Diese werden auf Regale vor eine Stahlwand gesetzt – und stehen nun Aug in Auge mit Serras »Berlin Block for Charlie Chaplin« jenseits der Glasfront.

Korrespondenzen mit dem Umraum herzustellen, scheint Kounellis ein zentrales Anliegen zu sein, zugleich setzt er auf unsere Irritation beim Wahrnehmen des gewöhnlich Unvereinbaren: des Harten und Glatten mit dem Weichen und Rauen. Seinen Materialien haftet etwas Existenzielles an. So bettet er drei Steinplatten je auf ein Blei-Stoff-Gemisch, auf Holzreste oder auf Jutesäcke, so dass diese wie drei mythische Gräber erscheinen. »Vita o Morte« kritzelte Kounellis bereits 1969 auf eine Stahlplatte und wünschte weiter ausdrücklich seinen Helden »Marat« und »Robespierre« ein Vivat, auratisch verklärt durch ein Kerzenlicht.

Mit Mario Merz begründete Kounellis in den 60ern die Arte Povera, die mit bewusst »armen Materialien« arbeitend sich dem Leben aussetzen wollte und eine distanzierte L'art pour l'art-Position vehement ablehnte. Auch wenn der Künstler bekundet, dass Eisen und Kohle »am besten die Zeit der industriellen Gesellschaft heraufbeschwören«, so reanimiert Kounellis mit seiner Installation doch zugleich seine Herkunft als Bauernsohn. Neben den Kohlesäcken gibt es auch solche, in die Kichererbsen und Linsen gefüllt sind, abgetakelte Bettpritschen in Raumwinkeln sowie zum Trocknen aufgehangene zottelige Schafwolle.

Malerisch patinierte Glocken beschwören die offenen Glockentürme ägäischer Inselreiche und korrespondieren aufs Schönste mit dem grünen Marmor der Nationalgalerie. Ein poetisches Mobilé aus Waagen, die jeweils mit Kaffeepulver beschwert sind, zaubert nicht allein ein hübsches Bodenmuster, sondern verströmt überdies ein sanftes Aroma durch die gesamte Halle, das sich mit dem herben Geruch der Kohle mischt. Überdeutlich bezeugen seine Installationen die Abwesenheit der Anwesenheit. Als hätte eben noch eine Brigade griechischer Frauen an den zwanzig Nähmaschinen gewerkelt oder eine schwatzende Männerrunde Kaffee getrunken und Tavli gespielt, um dann die im Kreis stehenden und mit schwarzen Säcken beschwerten Bauernstühle zu verlassen.

Kounellis frönt der Sehnsucht nach dem »Kafenion«, dem griechischen Kaffeehaus. Der Mann, der sich bis heute ausdrücklich als »Maler« definiert, schöpft aus den Tiefen seiner Wurzeln: »Es ist höchst schwierig, ein Bild zu schaffen, ohne eine Vorstellung von der Vergangenheit zu haben.«

Jannis Kounellis: Neue Nationalgalerie Berlin. Bis 24. Februar. Di, Mi, Fr 10-18 Uhr, Do 10-22 Uhr, Sa u.So 11-18 Uhr.

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