Aus dem Elendsviertel in die Leichenhalle

Kenias Oppositionshochburg Kisumu versinkt nach Wahl in Gewalt

  • Bernard Rwoti, Nairobi
  • Lesedauer: 3 Min.
Gespenstische Ruhe herrschte am Neujahrsmorgen in den Straßen von Kisumu. Nach den blutigen Kämpfen der Nacht patrouillierten in der drittgrößten Stadt Kenias die Sicherheitskräfte mit ihren roten Mützen. Die seit Tagen gegen den Ausgang der Präsidentenwahl demonstrierenden Oppositionsanhänger hielten sich während der tagsüber geltenden Ausgangssperre verborgen.

Vor der städtischen Leichenhalle warten besorgt zwanzig Männer und Frauen. Aus den Elendsvierteln sind sie gekommen, um nach Angehörigen zu suchen. Und alle hoffen, dass ihre Verwandten nicht unter den mehr als hundert Toten sind, die im Innern auf dem Boden liegen.

Für Mary Otieno ist das letzte Fünkchen Hoffnung bereits erloschen: »Ich habe meinen Sohn wiedererkannt, er hatte eine Kugel im Bauch«, erzählt die Frau verzweifelt. Das letzte Mal gesehen hatte sie ihren Jungen, als nach Protesten gegen die Wiederwahl des Präsidenten Mwai Kibaki in ihrem Viertel plötzlich Schüsse fielen. »Wir haben uns in Sicherheit gebracht. Da habe ich ihn aus den Augen verloren.« Sie fand ihren Sohn schließlich in der Leichenhalle – inmitten anderer teils von Kugeln durchsiebter oder von Macheten verstümmelter Körper. Unter den Opfern sind auch Kinder.

Fast 290 Menschen starben in den vergangenen Tagen in Kenia bei den Unruhen nach der Präsidentenwahl. Die meisten wurden in Kisumu getötet, 66 Leichen wurden allein in der Neujahrsnacht gefunden. In der Stadt leben besonders viele Anhänger der Partei Orange Democratic Movement (ODM) des Oppositionskandidaten Raila Odinga. Sie werfen Präsident Kibaki Betrug vor und reagierten auf seinen Wahlsieg und die hastige Vereidigung mit wütenden Ausschreitungen. Im ebenfalls westlichen Eldoret verbrannten am Dienstag mindestens 30 Menschen bei lebendigem Leib in einer Kirche, in der sie Schutz vor der Gewalt gesucht hatten.

Die erbitterten Auseinandersetzungen werden zusätzlich angefacht durch Stammesrivalitäten. Präsident Kibaki gehört zur Gruppe der Kikuyu, die das politische und wirtschaftliche Leben des Landes dominiert. Odinga ist Angehöriger des Luo-Volkes, zu dem die meisten Oppositionsanhänger gehören. Die Feindseligkeiten zwischen beiden Volksgruppen drohen nun zu eskalieren: Im größten Slum Nairobis, Kibera, zündeten Luo-Angehörige die Häuser und Geschäfte von Kikuyus an. Im vornehmlich von Kikuyus bewohnten Viertel Mathare wiederum wurden Luo-Angehörige zu Opfern von Plünderungen und Gewalt.

Die Volkszugehörigkeit von Politikern ist in Kenia ein entscheidender Faktor, fast 40 Prozent der Bürger machen ihre Entscheidung für einen Kandidaten davon abhängig, welcher Volksgruppe er angehört. In der vornehmlich von Kikuyu bewohnten Zentralprovinz erhielt Kibaki mehr als 90 Prozent der Stimmen, in der Luo-Hochburg rund um den Victoria-See gelang dies dem Oppositionschef.

In Kisumu habe die Polizei Anweisung, alle zu erschießen, die gegen die Ausgangssperre verstießen und randalierten, sagt der Polizeikommandeur der Provinz Nyanza, Michael Baraza. »Wir werden niemanden schonen. In Kisumu soll wieder Frieden einkehren.« Ob letzteres gelingt, ist fraglich: Auch am Dienstag waren aus den Elendsvierteln am Stadtrand wieder Schüsse zu hören.

(AFP)

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