Iraks Frauen zurück in »dunklen Zeiten«

Studie macht auch USA-Besatzung für die schlechte Lage verantwortlich

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Zum ersten Mal seit Jahren gab es in Bagdad zum Jahreswechsel wieder vereinzelt Straßenfeste. Die Situation der Frauen in Irak jedoch bietet weiterhin keinen Grund zum Feiern.

Die weitgehend ruhige Sicherheitslage in Bagdad nutzten Menschen zum ersten Mal seit drei Jahren, um auf den Straßen den Beginn des neuen Jahres zu feiern. Die Gewalt habe in den letzten Monaten abgenommen, heißt es, wenngleich Anschläge immer noch Furcht und Schrecken verbreiten. Und die Lage von Frauen bleibt weiterhin schlecht. Das besagt eine Studie der Organisation »Brussels Tribunal«. Verglichen mit der Situation vor dem Krieg 2003 hat sich die Lage irakischer Frauen demnach erheblich verschlechtert.

Die Studie macht auch die US-amerikanische Besatzung dafür verantwortlich. Entgegen der Genfer Konvention würden Frauen in Irak inhaftiert, misshandelt und zu Aussagen gezwungen. Die Zahl der Fälle von sexuellen Übergriffen, Folter und Verletzung von Frauenrechten habe zugenommen. Ohne männliche Begleitung könnten Frauen nicht mehr das Haus verlassen. 70 Prozent der Frauen, die vor 2003 gearbeitet haben, seien nun arbeitslos.

Auch durch die neue Verfassung hätten die Frauen in Irak grundlegende Rechte verloren, heißt es in der Studie. So dürften Frauenrechte der islamischen Scharia nicht widersprechen, die allerdings von Geistlichen unterschiedlich interpretiert werde. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Besatzungstruppen in Irak vorsätzlich das soziale Beziehungsgeflecht der irakischen Gesellschaft zerstört hätten, was sich direkt und negativ auf die Lebensbedingungen von Frauen auswirke. Frauen in Irak seien in »dunkle Zeiten« zurückgeworfen worden.

Über Jahrhunderte hätten irakische Frauen für ihre Rechte gekämpft, erinnert die Autorin der Studie, Dr. Souad Al-Azzawi, Professorin für Umwelttechnik an der Bagdad-Universität und Expertin für die Auswirkungen abgereicherter Uranmunition. Erst in den 60er Jahren seien grundlegende Rechte für Frauen in der irakischen Verfassung verankert worden. In den 70er und 80er Jahren hätten sich Schulen und Universitäten für Frauen geöffnet, sie gingen in die Politik und wurden beruflich gleichgestellt. Seit Beginn der UN-Sanktionen (1990-2003) hätte sich die Lage der Frauen in Irak dagegen kontinuierlich verschlechtert.

Im Rahmen der Studie wurden 150 Frauen zu ihren Familien, ihrer Ausbildung und ihrer wirtschaftlichen Situation befragt. Die Umfrage wurde im Bagdader Stadtteil Karrada sowie in Kudsiya, einem Stadtteil von Damaskus durchgeführt, wo rund 200 000 der mehr als eine Million irakischen Flüchtlinge in Syrien leben. 80 Haushalte beantworteten die 21 Fragen in Kudsiya und 70 in Karrada. Ursprünglich waren insgesamt 300 Fragebogen verteilt worden, von denen allerdings nur die Hälfte zurückkam. Die Autorin führt dies trotz der Zusicherung der Anonymität auf die Angst der Befragten zurück, wegen der Teilnahme an einer Umfrage in Bedrängnis zu geraten.

47 Prozent der befragten Frauen verfügten über einen Hochschulabschluss mit Doktortitel, mit 85 Prozent sei die Arbeitslosenrate unter diesen Frauen besonders hoch. 36 Prozent der Familien lebten mit weniger als 100 US-Dollar pro Monat unter der Armutsgrenze. 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen aus den befragten Familien versagten in der Schule, 50 Prozent verließen die Schule ganz, was die Autorin auf die emotionalen Belastungen zurückführt, denen sie ausgesetzt seien.

Mehr als die Hälfte, nämlich 87 der befragten Familien, hätten mindestens einen Angehörigen durch Gewalttaten verloren. Die Zahl der vermissten Familienangehörigen unter allen Befragten beläuft sich auf insgesamt 66.

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