Daimler-Chef erstmals in Prozess unterlegen
Konzern-Kritiker zahlt kein Schmerzensgeld
Daimler-Chef Zetsche ist mit der Forderung nach Schmerzensgeld von Jürgen Grässlin gescheitert. Zetsche forderte vor dem Hamburger Landgericht von Grässlin 50 000 Euro, weil dieser ihn der Falschdarstellung über Graumarktgeschäfte bezichtigte hatte.
Der damit zumindest vorläufig entschiedene Rechtsstreit hat eine lange Vorgeschichte. Bestseller-Autor Grässlin hatte sich im Jahr 2005 in der Fernsehsendung »Titel, Thesen, Temperamente« kritisch über Zetsche und die Graumarktgeschäfte von DaimlerChrysler seit 1995 geäußert und dem früheren Vertriebschef vorgeworfen, vor Gericht seine Rolle falsch dargestellt zu haben. Per Gerichtsbeschluss ließ Zetsche daraufhin die kritischen Äußerungen von Grässlin untersagen. Grässlin ist allerdings weiterhin davon überzeugt, dass »Mercedes-Fahrzeuge mit damals beträchtlichen Rabatten unter anderem in die Türkei, nach Russland, Nordafrika, Thailand, Taiwan und in viele weitere Staaten geliefert wurden«. Daimler hätte damit gegen EU-Recht verstoßen.
Das sieht man in Stuttgart ganz anders. Zumindest Daimlers Graumarktgeschäfte verstießen nicht gegen die Gruppenfreistellungsverordnung der EU. Bei Daimler seien Graumarktgeschäfte trotzdem grundsätzlich unerwünscht, und Zetsche habe sie schon als Vertriebsboss intern bekämpft. Der Nachfolger des Freiburgers Schrempp versuche, möglichst ohne Graumarktgeschäfte über die Runden zu kommen. Ansonsten habe Zetsche von den grauen Praktiken gewusst. Dieses Wissen habe er nie geleugnet und erst recht nicht vor Gericht.
Grässlin fühlt über den ersten juristischen Erfolg gegen Daimler-Benz eine »tiefe Genugtuung«, es sei ein »Sieg der Meinungsfreiheit und des Rechtsstaates«. Eine Sprecherin von Daimler verwies aber darauf, dass Grässlins Vorwürfe gegen Zetsche in der TV-Sendung vom Kammergericht in Berlin untersagt worden seien. Dass nun die zuständige Pressekammer in Hamburg ein Schmerzensgeld für den Daimler-Chef abgelehnt hat, ändere nichts daran, dass Grässlin eine Persönlichkeitsverletzung begangen habe.
Richter Buske hat allerdings mit seinem Urteil klargemacht, dass er die Äußerungen Grässlins zumindest nicht für so schwerwiegend hält, dass sie ein hohes Schmerzensgeld rechtfertigen. Ob Grässlin in der Sache sogar Recht bekommt, dürfte demnächst noch mehr Juristen beschäftigen. Ob und in welchem Umfang Zetsche nämlich von den Graumarktgeschäften gewusst und ob er mehrfach Gerichte belogen hat, prüft seit einigen Monaten die Staatsanwaltschaft in Stuttgart. Staatsanwalt Maak ermittelt wegen einer uneidlichen Aussage Zetsches sowie in vier Fällen wegen »Versicherung auf Eides statt«.
Mit einem Ergebnis der Ermittlungen wird kommende Woche gerechnet.
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.