Er besorgte den Sprengstoff

Joachim Kuhn – Stauffenbergs Freund

  • Kurt Finker
  • Lesedauer: 4 Min.

Aus dem Kreis der Beteiligten an der Verschwörung vom 20. Juli 1944 hat der Major Joachim Kuhn relativ geringe Aufmerksamkeit erfahren, bedingt auch durch die schwierige Quellensituation. Aussagen von Zeitzeugen und von Kuhn selbst sind lückenhaft und widerspruchsvoll; Dokumente befanden sich in der Sowjetunion unter Verschluss. Der deutsch-kanadische Historiker Peter Hoffmann hat nun Lücken geschlossen.

Kuhn wurde 1915 in Berlin als Sohn eines Patentanwalts geboren. 1934 Leutnant, August 1940 Hauptmann, verwundet, Kriegsauszeichnungen, war er im Juni/Juli 1944 Erster Generalstabsoffizier (Ia) in der 28. Jägerdivision an der Ostfront; sein Vorgesetzter war Generalmajor Henning von Tresckow. Eine Wendung in seinem Leben hatte 1942 die Bekanntschaft mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg gebracht, mit dem ihn bald enge Freundschaft verband. Hoffmann schildert das Mitwirken Kuhns bei der Vorbereitung des Umsturzes 1943/44. Im April 1943 hatte sich Kuhn mit Marie Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg verlobt, einer Kusine Claus von Stauffenbergs. Die Verlobung wurde jedoch bald wieder gelöst, da die Familie Stauffenberg katholisch war, die Familie Kuhn jedoch evangelisch und beide Seiten darauf bestanden, die Hochzeit nach ihrem Gusto zu gestalten. »Frau Kuhn blieb hart und bestand auf evangelischer Trauung und Kindererziehung. Joachim teilte zwar die starre Überzeugung seiner Mutter nicht, hatte aber auch nicht die Kraft, sich ihrem Willen zu widersetzen.«

Vom verfehlten Attentat erfuhr Kuhn am Morgen des 21. Juli 1944, gegen Mittag empfing er Tresckow, der ihn als Begleiter für die Fahrt zu einem gefährdeten Frontabschnitt anforderte, wo er sich das Leben nehmen wollte. Kuhn schlug ihm vor, sich zu den Polen durchzuschlagen und dort zu verstecken, um irgendwie nach Norden in Richtung Skandinavien zu kommen. »Tresckow lehnte ab und nahm sich in einem Wald zwischen den Fronten das Leben. Kuhn meldete, dass er bei einem Partisanenüberfall gefallen sei. Er selbst befand sich in einem Zwiespalt: Er rechnete mit Bekanntwerden seiner Mitwirkung, wollte sich aber nicht der Gestapo ausliefern, lehnte auch die Selbsttötung ab; Überlaufen zur Roten Armee war für ihn Landesverrat«.

Hoffmann zitiert mehrfach den Fliegerleutnant Heinrich Graf von Einsiedel, den er einen »Enkel« Bismarcks nennt, »der in der Gefangenschaft grausam gequält worden war und sich dem prosowjetischen Nationalkomitee ›Freies Deutschland‹ angeschlossen hatte«. Ich habe Einsiedel, ein Urenkel Bismarcks, persönlich gekannt; von »grausamer Quälerei« hat er nie gesprochen. Im Gegenteil, in einem in Westdeutschland erschienenen Buch schildert er seine inneren Auseinandersetzungen bis zum freiwilligen Entschluss, sich der antifaschistischen Kriegsgefangenengruppe um den Hauptmann Dr. Ernst Hadermann anzuschließen. Er wurde Mitbegründer und Vizepräsident des NKFD. Solch konsequenten Weg wahrhaftig zu schildern, ließ Kuhns Antikommunismus wohl nicht zu, und des Autor auch nicht.

Nachdem am 27. Juli der Befehl zur Verhaftung von Kuhn ergangen war, überquerte dieser die Frontlinie und verbarg sich in einem polnischen Bauernhaus, wurde jedoch von einer sowjetischen Streife gefangengenommen. Nach eigenen Aussagen hatte er beabsichtigt, sich nach Finnland durchzuschlagen. Eine Mitarbeit im NKFD lehnte er ab. Im Zuge der allgemeinen Bestrafung deutscher »Kriegsverbrecher« in der Sowjetunion wurde auch Kuhn im Oktober 1951 zu 25 Jahren Haft verurteilt, aber im Januar 1956 freigelassen. Das Reichskriegsgericht hatte ihn im August 1944 als »Überläufer« zum Tode verurteilt.

Hoffmann urteilt über Kuhn vor allem aus antikommunistischer Sicht: »Hitler persönlich ordnete seine Festnahme an ..., weil er den Sprengstoff für das Attentat beschafft hatte. Stalin persönlich wollte ihn bestraft sehen, weil er nicht für die Sowjetunion arbeiten wollte. Kuhn hatte seinen Widerstand gegen Hitler in der Gefangenschaft konsequent fortgesetzt, indem er der sowjetischen Führung Informationen gab, Namen und Fakten zur Personallage, mit denen sie womöglich den Krieg abkürzen konnte. Doch trotzte er allen Verlockungen und Foltern und weigerte er sich standhaft, sich für die Zwecke der sowjetischen Politik in Deutschland einsetzen zu lassen ... Der mutige Kämpfer gegen Hitler hatte sich ebenso gegen Stalin gewandt und war zwischen zwei Diktatoren in eine politische Falle geraten.«

Kuhns weiteres Leben, bis zum Tod 1994, war durch seine Schizophrenie überschattet. Zuweilen hielt er sich für einen Hohenzollernspross und ließ sich mit »Kaiserliche Hoheit« anreden. Er sah sich auch als Oberbefehlshaber der NATO. Als Einsiedel und Oberleutnant a. D. Kunrat von Hammerstein ihn 1981 besuchten, erklärte er, dass Hitler ihn ermorden lassen wollte, weil er der Kronprinz sei. Und als dann beide mit ihm ernsthaft über seine Vergangenheit sprechen wollten, trieb er sie mit einem Stock aus seiner Wohnung.

Peter Hoffmann: Stauffenbergs Freund. Die tragische Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn. CH Beck, München 2007. 246 S, geb., 24,90 EUR.

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