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Immer wieder noch einmal anders: The Notwist
Die Schönheit liegt im Fragmentarischen: Auf dem Doppelalbum »Magnificent Fall« führen The Notwist ihre B-Seiten, Remixe und umgebauten Songs vor
The Notwist waren schon immer Song- und Soundtüftler. Schon in den frühen 90ern, als die Band aus dem bayersichen Weilheim noch Gitarrenbretter zuschnitt: Mit der dünnen Stimme des Sängers Micha Acher, einem ungewöhnlich in den Sound gemischten Schlagzeug und ungewohnten Songstruktur-Auf- und -Abrissunternehmungen klangen sie schon sehr anders als der Rest der Indierock-Welt. Mit »Shrink« öffneten sich 1998 dann alle Fenster und Türen, Elektronik und Krautrock zogen ein und die verzerrten Gitarren zogen aus. Von da an bauten Notwist unbeirrt von allen Vorstellungen, wie man avancierte Popmusik zu bauen hat, in größeren Jahresabständen Album um Album zusammen, eins schöner und durchgestalteter als das andere.
Das Album der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau
Es gibt in den Songs von Notwist immer viel zu entdecken, die Ideen, die in diese Musik einfließen, sind zahlreich und eigentlich immer gut und nie selbstzweckhaft. Jedes neue Gerät, jedes gezupfte Cello, jedes Kratzen oder Flirren komplettiert die Musik. Interesse an Gimmicks hat hier keiner, aber Musikermusik ist das eben auch nicht, bei allem Variantenreichtum. Es geht immer um den Song.
Dass bei dem ganzen Songwriting-Gebastele und Geschraube an vielen Geräten auch vieles entsteht, was dann nicht ins endgültige Album einfließt, bekommt man auf den Konzerten von The Notwist vorgeführt (sehr schön dokumentiert auf ihren Alben »Superheroes, Ghostvillains + Stuff« und »Vertigo Days – Live from Alien Research Center«). Da klingt das alles dann immer wieder noch einmal anders, weiter ausgreifend und improvisationsfreudiger. Man kann das, was dann doch liegengeblieben ist, auf inzwischen zwei Compilations hören. »Messier Objects« versammelte vor zehn Jahren Instrumental-Skizzen. Das jetzt erschienene Doppelalbum »Magnificent Fall« führt diese Tradition weiter, als eine Compilation von B-Sides, Remixen und umgebauten Songs.
Was bei anderen Bands einfach eine Sammlung von Resten und Varianten wäre, die vernünftigerweise aussortiert wurden, ist im Falle von The Notwist ein Sammelsurium aus Fragmentarischem, Miniaturen, Versuchen und umgearbeiteten Stücken. Fundstücke aus dem Werkprozess. Oder auch ein musikalisches Notizbuch. Die Handschrift bleibt gleich: feine Spannungen zwischen Maschinellem und Organischem, zwischen analog und digital, melancholisch-müde Harmonik, Subtilitäten aller Art.
Besonders schön: das zuerst 2010 auf einer Split-Single mit Ex-Notwist-Mitglied Console erschienene Indietronica-Stück »Blank Air«, der Odd-Nosam-Remix von »Sleep«, der aus dem Stück verrauschten Shoegaze-Pop werden lässt, das melancholische, pluckernde Folk-Stück »Who We Used To Be«. Die Alben von Notwist haben immer einen ausgearbeiteten dramaturgischen Bogen. Die Schönheit von »Magnificient Fall« liegt im Fragmentarischen. 13 Tracks, die in ihrer Unterschiedlichkeit ein dann wieder homogenes Bild der Verfahrensweisen dieser Band ergeben.
The Notwist: »Magnificent Fall« (Alien Transistor/Morr Music)
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