Kopftuch und jungfräuliche Empfängnis
In Berlin-Neukölln versuchen zwei Schulen durch einen interreligiösen Dialog Trennendes zu überwinden
»Der Katholizismus entstand etwa 33 nach Christus, der Protestantismus auf dem Reichstag in Speyer 1529.« Korrekt, und dennoch hört es sich bisweilen drollig an, wenn Außenstehende versuchen, sich geistig einem verwandten Themengebiet zu nähern. Oder: »Bei den Protestanten wird zur Erinnerung an das letzte Abendmahl Brot und Wein gereicht, symbolisch für das vom Erlöser Jesus gegebene Fleisch und Blut. Bei den Katholiken soll es genau das sein.«
Nicht immer einfach, die feinen Unterschiede. In Berlin-Neukölln trafen sich jüngst zwei neunte Klassen: Die eine überwiegend von Muslimen besucht, die andere aus einer katholischen Schule. Auf neutralem Terrain, in den Räumen der Werkstatt der Kulturen. Beide hatten sich auf das Treffen zum Teil seit den Herbstferien vorbereitet. Die neunte Klasse aus der Marienschule erklärte der muslimisch dominierten Klasse den Islam und seine Geschichte. Im Anschluss erläuterten die merhheitlich muslimischen Gymnasiasten den Marienschülern das Christentum.
Das Ernst-Abbe-Gymnasium liegt im nördlichen Neukölln, am längeren Ende der Sonnenallee. 16 der 24 Schüler der Klasse 9 a sind muslimischen Glaubens verschiedener Richtungen: Aleviten, Schiiten, Sunniten. Sechs sind Christen verschiedener Konfessionen, von protestantisch bis serbisch-orthodox. Zwei bezeichnen sich als Buddhisten. Keine außergewöhnliche Konstellation in dieser Gegend nahe dem Rathaus Neukölln. Schulischen Religionsunterricht gibt es hier seit Jahren nicht mehr. Gerade mal einen Kilometer entfernt, besuchen andere Schüler christlicher Konfessionen die Katholische Schule Sankt Marien in der Donaustraße. Kein weiter Weg, der manchem dennoch Lichtjahre lang scheinen mag.
Zum dritten Mal hat für das Schuljahr 2007/2008 die Herbert-Quandt-Stiftung Schüler zum Wettbewerb »Schulen im Trialog« aufgerufen. Im Mittelpunkt stehen die drei monotheistischen Weltreligionen: Judentum, Christentum und Islam. Lehrer und Schüler sind aufgefordert, eigenständige und kreative Beiträge über die drei Kulturen und das Verhältnis von Religion und Staat zu erarbeiten. Marien-Religionslehrerin Stefanie Kleemeyer und Abbe-Geschichtslehrer Arno Eberhard hatten sich schnell auf die Teilnahme ihrer beiden Schulen geeinigt. Kleine Arbeitsgruppen in jeder Klasse begannen nun über Monate, sich mit den so nahen und doch so unbekannten Religionen vertraut zu machen.
Bei der Präsentation der Ergebnisse saßen die Schüler anfangs noch sauber getrennt nach Religions- bzw. Schulzugehörigkeit. Die Schüler des Abbe-Gymnasiums führten in einem Theaterspiel biblische Lehrstücke auf, erklärten die zehn Gebote, das Symbol des Kreuzes, die Geschichte und Bedeutung christlicher Feiertage und der Reformation.
Nach den Vorträgen der Arbeitsgruppen kam Bewegung in die Sache. Die Trennung löste sich auf. Schulgemischte Grüppchen befassten sich mit jenen Fragen, die normalerweise auf der Strecke bleiben: Wie verhält es sich im Islam mit der Verschleierung der Frauen, was bedeutet die jungfräuliche Empfängnis im Christentum? Was ist die grundsätzliche Differenz zwischen Katholiken und Protestanten in der Sicht auf das Abendmahl?
Beide Klassen hatten sich bereits einige Tage zuvor bei der Besichtigung der nahegelegenen evangelischen Luther-Kirche kennengelernt. Als nächstes steht der Besuch einer Moschee auf dem Plan. »Leider haben wir weder auf der Marien- noch in der Abbe-Schule einen jüdischen Mitschüler«, bedauert Stefanie Kleemeyer. Da sich das jüdische Gymnasium vor Anfragen ähnlicher Art kaum retten kann, sinnt man noch auf eine Lösung, um aus dem Dialog zweier Weltreligionen den vorgesehenen Trialog machen zu können: Ein Besuch der Synagoge am Fraenkelufer ist da ebenso im Gespräch wie ein Abstecher in das Jüdische Museum.
Abbe-Latein- und Physiklehrer Gregor Feßler, der an diesem Tag seinen Kollegen Arno Eberhard vertrat, und Stefanie Kleemeyer ziehen ein positives Fazit aus den bisherigen Erfahrungen mit dem Projekt: »Wenn das nur ein bisschen hilft, Neukölln zu befrieden, bin ich schon zufrieden«, meint Stefanie Kleemeyer.
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