Stillleben mit Katzen

Sarah Kirsch bei sich in »Schließlich-Holzbein«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Einer Unbekannten hätte wohl kein Verlag dieses Buch abgenommen. Was soll's, hätte der Lektor wahrscheinlich gedacht, so er das unverlangt eingesandte Manuskript überhaupt gelesen hätte: Dass jemand bei Matschwetter Gummi-stiefel anzieht, ist doch klar, ebenso wie es nicht überrascht, dass es im Herbst/Winter an der Eider stürmt. Dass sie sich an Proust erfreut, ist der Frau zu gönnen. Und was soll gewonnen sein, wenn man statt Januar »Jaguar« und statt Februar »Zebra« schreibt?

Das klingt jetzt wie eine vernichtende Kritik, aber ich will nur sagen, dass dieses Buch im Wissen um seine Autorin verstanden werden will. Sarah Kirsch: 1935 in Limlingerode, Kreis Nordhausen, geboren, Biologiestudium, acht Jahre mit Rainer Kirsch verheiratet, bekannte Dichterin in der DDR, die sie 1977 mit ihrem Sohn Moritz verließ, nachdem sie wegen ihres öffentlichen Protestes gegen die Biermann-Ausbürgerung nicht nur aus der SED ausgeschlossen wurde, sondern auch sonst zu spüren bekam, dass sie unliebsam war. Zuerst lebte sie in West-Berlin, dann zog sie in ein Haus hinter dem Eiderdeich im schleswig-holsteinischen Tielenhemme. Dass die alten Wunden nicht verheilt sind, merkte man daran, wie harsch sie 1992 eine Berufung an die Berliner Akademie der Künste ablehnte, weil sie einstige Mitarbeiter der Staatssicherheit darin zugange sah, und wie sie 1996 aus dem West-PEN austrat, weil ihr eine Vereinigung mit dem Ost-PEN unerträglich schien. Das hört man mitschwingen, wenn sie sagt: »Wegen nüscht bin ich fröhlich, ich muss es im Koppe haben.«

Dabei spräche so eine Aussage bei jedem für Lebenskunst, bei einer 72-Jährigen zumal. Aber sie bliebe kaum beachtet bei einer Person, die nicht bereits über ein Beachtungspotenzial verfügt. Traurig, aber wahr: Alles ist ungleich verteilt, selbst die Aufmerksamkeit. Und Positives kommt besser an. Vom »1. Septembrius 2003, Montauk« bis »18. Zebra 2004, Mistwoch« hat Sarah Kirsch aufgeschrieben, wie sie täglich der Düsternis draußen und in der Seele trotzt. Die Mühe des Letzteren kann man nur erahnen, weil es so aussieht, als ob sie gleichbleibend guter Laune sei. Es ist eine Beschwörung, die bösen Geister zu vertreiben. Und hier kommt die feinsinnige Dichterin ins Spiel, die für Naturbeobachtungen viel Sinn und immer schon Spaß daran hatte, verschiedene Sprachebenen zu verknüpfen, Banales durch Stilisierung in eine andere Wahrnehmungsdimension zu bringen.

Das genießt man bei ihr, vor dem Hintergrund ihrer Lyrikbände, auch wundert man sich angesichts früherer Bücher nicht über den Schnodderton. »Die Kühe tappern in den Nebel.« Oder: »Gänse donnern vorüber.« Da zeigt eine, dass sie auf alles mögliche pfeift, auf Grammatik, Orthographie und fremde Ansichten sowieso. »Joyce Carol Oates. Das hat mir nie interessiert. Sie kann die Dinte nicht halten. Hat man ein Buch gelesen, kennt man sie alle. Manchmal schreibt sie zwei Rohmane in eenem Jahr. Der Berliner kennt keenen Akkusativ.« Die harschen literarischen Wertungen über Günter Grass oder Christoph Hein, Christa Wolf oder Alexander Kluge mögen diesen oder jenen amüsieren. Ich merke wieder mal mein gänzlich anderes Temperament. Was soll's, mit meiner Einfühlsamkeit gewinne ich bei Sarah Kirsch »keinen Bluhmentopp«, wie sie vielleicht sagen würde.

Rezensenten haben gelobt, wie sie in ihren Alltagsminiaturen immer wieder die Brücke schlägt vom Privaten zur großen Weltpolitik. Zwischen Katzenfüttern und Vögelbeobachten wird auch mal Radio gehört. »Nach dem ersten Nachtfrost fallen die herrlichen roten Weinblätter ab so man sie anschaut. Mittach fahr ich nach Heidi umb meine Augengläser. Im Gazastreifen wurde ein Diplomatenauto mit CIA-Leuten in die Luft gesprengt. Die Brille war noch nicht fertig obwohl ausgemacht war, dass ich in solch einem Fall benachrichtigt werden sollte.«

Immer wieder wird auf diese Weise absichtsvoll ein Reiz gesetzt. Die Katzen, »die kleenen Laubsänger« und die israelische Armee. Oder: die amerikanische Marssonde, der »Messias« von »Mister Handel«, Wahlen in Georgien (»Das Land ist kapores«) mit plötzlichem Sprung zu Elster und Eichelhäher. Die Autorin genießt es, wie alles, was sie aufschnappt, »im kleinen Köppi was in Bewegung« setzt. »Prousterey« schon am Morgen, »TV-Unternehmungen durch die ganze Welt« oder »was Nabokov so raushaut«. Ein Blick durchs Fenster auf den »Nebul«, das »reine Selbstmörderwetter wie ich es liebe«. Katze »Emily ruht auf dem Kaschmirschal«. Glenn Gould hören rauf und runter oder Frau Callas mit »Lucia di Lammermoor«. Niedliche Schwanzmeisen. »Dunkele reale Wolken niederster Art über Schließlich-Holzbein. Schauer werden vermutet.«

Sarah Kirsch: Regenkatze. DVA. 143 S., geb., 16,95 EUR.

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