Adrenalin-Schnellschüsse

Im Kino: »13 Tzameti« von Gela Babluani

  • Martin Arnold
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt Filme, die setzen gewisse Standards, an denen sich alle darauffolgenden Werke messen müssen. Bilder und Momente, die so einprägsam oder innovativ sind, dass sie den Streifen zum Kultfilm werden lassen. Wenn nun jemand in seinem Thriller das erste Mordopfer in der Dusche abstechen lassen will, wird er sich den Vergleich mit »Psycho« gefallen lassen müssen, dem er dann, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht standhalten wird. Ebenso würde man einem Regisseur – erst recht einem jungen – davon abraten, den Hubschrauberangriff in seinem Antikriegsfilm mit dem »Ritt der Walküren« von Richard Wagner zu untermalen.

Wenn es um Russisches Roulette geht, ist Michael Ciminos Vietnamfilm »Die durch die Hölle gehen« unvergesslich. Robert De Niro und Christopher Walken halten immer noch den Standard für die spannendste und anspruchsvollste Russisch-Roulette-Szene – in einem Gefangenenlager der Nordvietnamesen werden sie zum »Spielen« gezwungen. Daran wird auch »13 Tzameti« nichts ändern.

Im ersten Langspielfilm des in Frankreich lebenden Georgiers Gela Babluani – gedreht in Schwarz-Weiß – geht es vorrangig um ein Russisch-Roulette-Turnier, inszeniert von gelangweilten Millionären. Die antretenden Spieler haben nichts mehr zu verlieren, sind der Bodensatz der Gesellschaft und bereit, ihr Dasein auf – glücksbasiertes – Töten oder Getötetwerden zu reduzieren. Nicht so der junge Sebastien, er rutscht zufällig als »Ersatzmann« in das Turnier. Eigentlich hält der 22-Jährige sich und seine Familie als Tagelöhner über Wasser. Er hat gerade den kleinen Auftrag angenommen, das marode Dach des alten Monsieur Godon zu reparieren. Dabei hört er mit, wie der morphiumsüchtige Godon mit einem Freund über einen Brief spricht, den er erwartet. Dieses Schreiben könne über Nacht alle seine Geldsorgen lösen. Kurz nach Eintreffen des Briefes stirbt der Alte jedoch an einer Überdosis und Sebastien sieht seine Möglichkeit. Der unterschlagene Brief enthält eine Fahrkarte nach Paris und eine Hotelreservierung. Für Sebastien beginnt damit eine Schnitzeljagd à la Hitchcock – jedoch zu kurz und zu plump, um dem Altmeister auch nur als Hommage gerecht zu werden – mit anonymen Anrufen und Anweisungen, die in einer verlassenen Villa im Wald endet. Diese ist natürlich der geheime Austragungsort des mörderischen Wettkampfes und eine Flucht ist nicht mehr möglich.

Das Turnier ist kühl und schnörkellos inszeniert. Und hier wird auch schon die größte Schwäche des Streifens sichtbar – es fehlt an Handlung. Der Hauptteil des Films sind das Turnier und die Russisch-Roulette-Szenen, doch selbst da wird von Runde zu Runde gehetzt, ohne sich Zeit zu nehmen, die anderen Teilnehmer zu beleuchten. Dies ist dann nicht nur schade, weil man an der Stelle gutes Charaktermaterial gehabt hätte, sondern nimmt zusätzlich die Spannung aus allen Runden des Turniers. Die Szenen werden zum Adrenalin-Schnellschuss ohne Anspruch und tiefere Bedeutung. Es ist nun mal so, dass Statisten, die wenig mehr als einen Satz sagen dürfen, wohl kaum siegreich aus diesem Turnier gehen werden. So ist nicht nur klar, wer gewinnt, sondern auch, dass der Weg dahin irrelevant ist.

Die beiden anderen Handlungsstränge des Films bleiben ebenso unangezapft. Einerseits die Einführung um den alten Godon, das Wrack, welches zeigt, was aus einem »Sieger« eines solchen Turniers wurde, andererseits die Polizei, die von Begin an versucht, über Godon und seinen Brief an die Drahtzieher zu kommen. Aus beiden Nebenhandlungen hätte man sehr viel mehr machen können und wenn nur zur Unterstützung der Hauptfigur oder des Turniers. Leider passiert beides nicht, die Nebengeschichten riechen nach Füllmaterial, um den Streifen auf Spielfilmlänge zu bringen. Besonders die Polizeistory bleibt so farblos wie die Kamera, und das trotz des vielversprechenden Verhörs von Sebastien durch den charismatischen Inspektor am Ende des Films.

Es wird wenig geredet und mehr gedeutet in »13 Tzameti«, was per se ja nicht negativ auffällt, wenn es denn durch andere Mechaniken, wie dem erwähnten Spiel zwischen den einzelnen Handlungssträngen oder einer besseren Beleuchtung einiger Nebenfiguren unterstützt würde. Leider fallen diese Mechanismen aus und so fehlen die einprägsamen Momente – das Kultige – und vom Film bleibt nichts hängen. Andere mögen in nostalgische Schwärmerei verfallen und sich gar an Hitchcock, den jungen Polanski und frühen Wim Wenders erinnert fühlen. Dies zeigt auf, dass es an originellem und innovativem Nachschub im Genre des »Film Noir« fehlt. Der Streifen ist zum Schulterzucken und wird es schwer haben, jemals Kultstatus zu erreichen. Man kommt aus dem Kinosaal und fühlt sich, als hätte jemand versucht, »Apocalypse Now« in Schwarz-Weiß nachzudrehen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal