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Menschenrechte schützen – notfalls auch mit Waffen

  • Daniel-Erasmus Khan
  • Lesedauer: 5 Min.
Menschenrechte schützen – notfalls auch mit Waffen

Ohne Zweifel: Krieg darf keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln mehr sein. Die UN-Charta fordert von den Staaten einen radikalen Verzicht auf dieses traditionelle Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen. Konflikte, so das Herzstück der völkerrechtlichen Friedensordnung von 1945, sollten fortan allein mit friedlichen Mitteln ausgetragen werden. Und dennoch: In berechtigtem Realismus huldigt die UN-Charta keinem bedingungslosen Pazifismus. Bewaffnete Selbstverteidigung bleibt zulässig und der UN-Sicherheitsrat kann militärische Gewalt autorisieren. Das Credo der Weltordnung am Ende eines durch das verbrecherische Nazi-Deutschland entfesselten Krieges lautete also nicht etwa »Nie wieder Krieg«, sondern »Nie wieder Aggression« und »In Solidarität zusammenstehen – notfalls eben auch mit militärischen Mitteln«.

Die Probleme für das Völkerrecht beginnen dort, wo wir das Szenario des klassischen zwischenstaatlichen Konflikts verlassen. Dieser bildet zwar die Matrix für die in der UN-Charta anerkannten Ausnahmen vom Gewaltverbot, kommt heute aber kaum noch vor: Von 34 größeren militärischen Konflikten in den Jahren 1997 bis 2006 fielen ganze drei in diese Kategorie. Offensichtlich ist die Welt seit 1945 nicht friedlicher geworden. Das Geschehen hat sich eben nur zunehmend in das Staatsinnere verlagert: Nichtstaatliche Akteure ringen miteinander oder mit der Staatsmacht um Macht und/oder Territorium; unterdrückte und aufbegehrende Bevölkerungsteile werden von der Staatsmacht mit brutalen Mitteln bekämpft. Gerade dort, wo wie im Bürgerkrieg die Grenzen zwischen Militär und Zivilgesellschaft verschwimmen, kommt es allzu oft zu humanitären Katastrophen. Auch hinsichtlich der bedauerlichsten Konstante der Menschheitsgeschichte ist die Welt damit heute eine andere, als sie es 1945 war.

Der Wert einer Rechtsordnung beruht in erster Linie auf ihrer Fähigkeit, die Herausforderungen einer konkreten Lebenswirklichkeit zu meistern: Das Idealbild der Charta aber, der wohl organisierte, über das Gewaltmonopol nach innen verfügende souveräne Staat, existiert heute vielerorts nicht mehr. Zerfallende Staaten mit bedenklichen Machtvakuen prägen das Bild gerade in Krisenregionen. Gleichzeitig hat die Stellung des Individuums auf der internationalen Bühne eine enorme Aufwertung erfahren, die eben gerade auch zu Lasten des absoluten staatlichen Verfügungsanspruches gegangen ist.

Mit einer förmlichen Anpassung an diese neuen Realitäten tut sich das Völkerrecht indes schwer, ist es hierzu doch auf den Konsens der gesamten Staatengemeinschaft angewiesen. Ein Projekt, wonach bei schwersten Menschenrechtsverletzungen auch mit militärischen Reaktionen zu rechnen ist, steht für viele Staaten »verständlicherweise« nicht besonders hoch auf der politischen Agenda. Bedeutet dies nun, dass wir sehenden Auges eine humanitäre Katastrophe hinnehmen müssen, obwohl diese nach Versagen aller anderen, milderen Mittel durch eine militärische Intervention verhindert oder beendet werden könnte? Kann die zwischenstaatlich geächtete Gewalt sich im Staatsinneren unter dem Deckmantel der Souveränität wirklich immer noch ungestraft austoben, ohne im Extremfall auch mit der schärfsten Reaktion anderer Staaten rechnen zu müssen? Ist die klassische völkerrechtliche Gleichung »lässt du mich in Ruhe, so lass ich dich zu Hause schalten und walten, wie es dir beliebt« wirklich immer noch uneingeschränkt gültig?

Nein, diese Gleichung gilt bereits seit 1945 nicht mehr, denn der zweite Grundpfeiler der neuen Weltordnung lautet: »Nie wieder Holocaust«. Schon in den Eingangsworten der Charta tritt die Bekräftigung »unseres Glaubens an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Person« gleichberechtigt neben die Verdammung der »Geißel des Krieges«. Ist das hier angelegte Spannungsverhältnis selbst in Extremsituationen (Genozid) wirklich immer zugunsten der staatlichen Souveränität und zu Lasten der Menschenrechte aufzulösen?

Auch hier ist eine bemerkenswerte Entwicklung zu beobachten: Die gerichtliche Aufarbeitung humanitärer Katastrophen obliegt zunehmend internationalen Strafgerichtshöfen, ein vor wenigen Jahren noch undenkbarer Einbruch in Kernbereiche staatlicher Souveränität. Seit Augusto Pinochet gilt zudem: Auch höchste Staatsrepräsentanten können sich mit ihren Verbrechen nicht mehr auf den Schutzschild der Immunität verlassen. Und schließlich: Der Begriff der Friedensgefährdung ist nicht zuletzt vom Sicherheitsrat um eine positive Dimension ergänzt worden, die auch schwere Menschenrechtsverletzungen umfasst. Eine vom Sicherheitsrat autorisierte, humanitäre Militärintervention ist daher bereits heute unzweifelhaft zulässig.

Es bleibt damit letztlich nur die Frage: Was ist, wenn die von der Charta vorausgesetzte Solidarität der Weltgemeinschaft zum Schutz der Menschenrechte versagt? Was ist, wenn es auf dem Dach der Welt zu einem Genozid käme und der Sicherheitsrat durch ein (sicher zu erwartendes) Veto handlungsunfähig wäre? Schließt dies in jedem Fall eine Intervention mit militärischen Mitteln durch handlungswillige und -fähige Staaten aus? Hier darf man keine pauschale Antwort geben: Die UN-Charta erlaubt Gewalt nur als allerletztes, exzeptionelles Mittel, aber eine prinzipielle rechtliche und moralische Verdammung enthält sie nicht. Die Charta kollektiviert legitime Gewaltanwendung aus gutem Grunde so weit wie möglich (Missbrauchsgefahr), setzt dabei aber das Funktionieren des entsprechenden Mechanismus voraus.

Hintergrund des radikalen Gewaltverbotes ist die Annahme eines Verstoßes gegen die »Ziele der Vereinten Nationen«, zu denen nun aber auch die Wahrung der Menschenrechte gehört. Befreiungsbewegungen dürfen auch um militärischen Beistand bitten, warum nicht auch andere unterdrückte Völker? Die völkerrechtliche Lage ist unsicher und eine Interpretation der Chartabestimmungen, die im äußersten Fall auch ein einseitiges militärisches Eingreifen ermöglicht, scheint möglich. Lassen wir die menschenverachtenden Regime dieser Welt in dieser Unsicherheit. Denn sicher ist: Die einstmals staatenzentrierte Völkerrechtsordnung entwickelt sich zunehmend zu einem schützenswerten Grundgesetz der Menschengemeinschaft. Und das ist eine gute Entwicklung.

Prof. Dr. Daniel-Erasmus Khan wurde 1961 geboren. Er studierte Rechtswissenschaften in Marburg, Genf und München. 1996 promovierte er am Institut für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2006 lehrt er an der Bundeswehruniversität in München Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht. Khan war mehrfach vor dem Internationalen Gerichtshof, u. a. für die Bundesregierung, in Den Haag tätig. Außerdem arbeitete er an rechtlichen Begutachtungen internationaler Grenzfragen mit.

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