Wie eine Wedding-Göre

Marianne Rosenberg mit neuem Jazz- und Chansonprogramm

  • Lutz Debus
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf dem Cover ihrer neuen CD »I'm a Woman« sieht Marianne Rosenberg aus wie Marlene Dietrich. Mit bleichem Gesicht, hohen, dünnen Augenbrauen, gekleidet in Anzug, Krawatte und Schlapphut, schaut die Sängerin lasziv in die Kamera. Dazu erklärt die so Dargestellte: »Ich spiele gern mit Rollen. Hier entwerfe ich ein Bild, das zur Musik passt.« Tatsächlich sind auf dem Album Klänge von vor über 60 Jahren zu hören. Lieder, die in den Revuetheatern Unter den Linden hätten zu hören sein können, wechseln mit Swingnummern, die an das frühe Hollywood erinnern. Frech belinert die Interpretin wie eine Göre von einem Hinterhof im Wedding.

Mal wieder eine neue Marianne Rosenberg (Foto: dpa), möchte man sagen. Denn etliche Rollen hat die Sängerin im Laufe ihrer Karriere besetzt. Dazu sagt sie: »Leben bedeutet permanenter Wechsel.« Dass viele ihrer Kollegen sich seit Jahrzehnten mit der gleichen Musik und Aufmachung präsentieren, erklärt sie sich mit deren Angst vor Veränderung. Alle ihre künstlerischen Phasen, versichert Marianne Rosenberg, hätten zu ihr gepasst. »Auch in den Siebzigern war ich Überzeugungstäterin.« Natürlich habe sie den frühen Ruhm genossen. Die Hinwendung zu der damaligen Protestbewegung am Ende ihrer Schlagerkarriere interpretiert sie als verspätete Pubertät. Schließlich war sie ja bereits mit 14 Jahren berufstätig. Im Scheinwerferlicht der Schlagerparaden war kein Platz für Rebellion. Als 20-Jährige aber wollte sie kein Lied mehr singen über ein Mädchen, das sich nach dem Märchenprinzen verzehrt. Der Abschied von »Fremder Mann« war für sie ein Akt der Frauenemanzipation.

Aber warum jetzt Jazz? »Es war die erste Musik, die ich auf dem Plattenspieler meines Vaters gehört habe – als Fünfjährige.« Otto Rosenberg, Vorstandsmitglied des Verbandes deutscher Sinti und Roma, war begeisterter Jazzfan. Schließlich war der europäische Jazz von Beginn an verbunden mit der Musik des Gitarristen Django Reinhardt, dem führenden Vertreter des Gypsy-Swings. Jazz ist also fester Bestandteil der Familientradition im Hause Rosenberg gewesen. Aber auch inhaltlich verteidigt die Musikerin ihre Hinwendung zu einem für sie neuen Genre. In den zwanziger Jahren wurde noch nicht so strikt zwischen Jazz und Schlager getrennt. In Deutschland erfolgte diese Trennung 1933 sehr abrupt. Der Jazz wurde verfemt. Aber auch als sie in der ZDF-Hitparade auftrat, da habe es Schlager gegeben, die mehr in Richtung Marschmusik tendierten, erinnert sich Marianne Rosenberg. So ist auch ihre jetzige musikalische Rückbesinnung auf das Berlin der Goldenen Zwanziger keine modische Attitüde. Sie sieht sich besser aufgehoben in der Nähe der Weltbürgerin Catarina Valente und der Soullegende Barry White als bei denjenigen, die von schwarzbraunen Haselnüssen singen.

Ein dunkler Schatten mag bei alledem eine große Rolle spielen. Auf den frühen leidvollen Lebensabschnitt ihres Vaters angesprochen, antwortet Marianne Rosenberg: »Selbstverständlich betrachtet das Kind eines Auschwitzüberlebenden die Welt anders.« Ob sie so früh auf die Bühne gehen musste, um dem Leid des Vaters etwas entgegenzusetzen? Da wird die sonst sprudelnd Erzählende einsilbig: »Mein Vater war sehr stolz auf mich.« Leider kann er seine Tochter nicht mehr in der Rolle der großen Dietrich, dieser couragierten Vaterlandsverräterin erleben. Otto Rosenberg starb 2001 im Alter von 78 Jahren in Berlin.

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