Familiengerichte sollen es richten

Kinderschutzverbände betonen: Neues Gesetz geht an den Problemen der Jugendhilfe vorbei

  • Michaela von der Heydt
  • Lesedauer: 3 Min.
Das jetzt verabschiedete Gesetz zum besseren Schutz von Kindern beinhaltet wenig Neues und wird die öffentlich proklamierten Erwartungen kaum erfüllen können. Denn die strukturellen Probleme der Jugendhilfe bleiben.

Weder das Leben von Lea-Sophie, Kevin, Jessica oder anderen verhungerten oder zu Tode misshandelten Kinder wären durch das neue »Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls« gerettet worden, ist sich Kinderschutzpräsident Heinz Hilgers sicher, auch wenn Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) genau dies damit verknüpft. Die »erheblichen Defizite beim Schutz besonders gefährdeter Kinder« würden damit verbessert, erklärte sie am Donnerstag in Berlin.

Schneller und einfacher sollen Familiengerichte eingreifen können, um vernachlässigten oder misshandelten Kindern zu helfen, und das jetzt, ohne Eltern erst Schuld zuweisen zu müssen. Das erleichterte Eingreifen befürworten auch Hilgers und Georg Ehrmann von der Deutschen Kinderhilfe gegenüber ND. »Die Zahl völlig überforderter Eltern habe stark zugenommen und Erziehungsversagen lässt sich schwer nachweisen.« Aber die den schon überlasteten Gerichten nun verordnete Verfahrensbeschleunigung laufe ohne mehr Personal ins Leere. Der Aufwand wird zunehmen, auch weil Richter nach drei Monaten überprüfen müssen, ob ihre Entscheidungen noch angemessen sind.

Dafür wird im Gesetz den Familienrichtern aufgezählt, welche Maß-nahmen sie schon jetzt anwenden dürfen – ohne gleich das Sorgerecht zu entziehen: Eltern dazu verpflichten, an Erziehungsberatung oder Anti-Gewalt-Trainings teilzunehmen, für Kinder Vorsorgeuntersuchungen und einen Kindergartenplatz zu nutzen sowie an einem Erörterungsgespräch teilzunehmen. Die Aufzählung soll auch Jugendämter ermutigen, eher Familiengerichte anzurufen. Denn in mehr als 79 Prozent der Fälle geschieht dies laut Bundesjustizministeriums erst, wenn es um den Entzug des Sorgerechts geht. Nur in 4,2 Prozent gehe es darum, das Gericht zu informieren und in 8,3 Prozent um niedrigschwellige Maßnahmen.

Die Ausführungen sind gut, verändern aber nicht strukturelle Probleme, heißt es bei Kreditschutzorganisationen. »Wir haben nicht das Problem renitenter Eltern, die Angebote nicht nutzen wollen, sondern dass die Jugendhilfe keine Mittel für präventive Angebote hat«, berichtet der Chef der Kinderhilfe. Zudem müssten Richter fortgebildet werden, um als Pädagogen Eltern zu Verhaltensänderungen zu bewegen. Die Ausstattung der Gerichte obliegt aber wie die der Kinder- und Jugendhilfe den Ländern und Kommunen. »Sie müssen das Gesetz erst zum Leben erwecken«, sagt auch Richterin Isabell Götz als Sprecherin des Deutschen Familiengerichtstags.

Konkretisiert wird in dem Werk auch der Freiheitsentzug. Zwangs-pädagogik sei der letzte Weg, aber wenn Kinder drohen, ein Stromkabel durchzubeißen oder sich auf die Autobahn setzen, muss man sie erst mal vor sich selbst schützen, meint Hilgers. Er kritisiert aber, dass die Jugendhilfe in den vergangenen Jahren in Tausenden von Fällen auf die geschlossene Psychiatrie in Krankenhäusern ausgewichen sei. Hier müssen die Krankenkassen die Kosten tragen. Geschlossene Einrichtungen der Jugendhilfe wären für viele wegen der individuelleren Betreuung der bessere Weg. Doch Betroffene werden oft wegen Kostenstreitigkeiten hin- und hergeschoben und landen schließlich auf der Straße, berichtet der Verein Karuna aus Berlin, der mit suchtmittelgefährdeten Kindern arbeitet. Karuna-Chef Jörg Richard beklagt auch, dass die Debatte sich auf die Null- bis Fünfjährigen konzentriert, die 20 Prozent der Fälle ausmachen, während für die über Zwölfjährigen Gelder zusammengestrichen würden.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -