Brandenburgs Bärendienst für Neubauernerben

LINKE stellt Fragen: Wie haben die anderen neuen Bundesländer gehandelt? Welche Verantwortung trägt der Bund?

  • Rosi Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.
2004: Demo der Erben gegen Abwicklung der Bodenreform. ND-
2004: Demo der Erben gegen Abwicklung der Bodenreform. ND-

Das Bodenreformerbe ist ein Thema ohne Ende: Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom Dezember 2007 gegen das sittenwidrige Verhalten des Landes Brandenburg wirft die Frage auf, wie die anderen neuen Bundesländer mit den Erben der Ländereien umgegangen sind und welche Verantwortung die Bundesregierung trägt.

Die Erben von Neubauern, denen 1945 durch die Bodenreform Land als vererbbares Eigentum übereignet wurde, glaubten nach der Wende, frei über ihr Land verfügen zu können. Per Gesetz vom 6. März 1990 hatte die DDR-Regierung unter Hans Modrow alle Verfügungsbeschränkungen aus DDR-Zeiten beseitigt. Mit dem 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz vom Juli 1992 begann die Kohl-Regierung jedoch mit der »Abwicklung der Bodenreform«. Nach Kapitel 233 des Einführungsgesetz zum BGB durfte nur der Erbe das Bodenreformland behalten, der am 15. März 1990 zehn Jahre in der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR gearbeitet hatte. Später wurde das auf die Tätigkeit in einer LPG beschränkt. Wer das nicht nachweisen konnte, war nicht zuteilungsfähig und musste den Boden an den Fiskus entschädigungslos abgeben. 70 000 Familien waren betroffen. Neubauernerben zogen vor Gericht – bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – und verloren.

Doch nicht alle Erben von Bodenreformland waren bekannt. Bis sie gefunden wurden, konnten die Landkreise einen gesetzlichen Vertreter einsetzen – Kommunen oder das Land. Die Frist für den Griff nach dem Boden war der 2. Oktober 2000. Danach durften die Erben den Boden behalten. In Brandenburg wurde indes nicht sonderlich gesucht, sondern das Land sorgte dafür, über einen Deal mit Landkreisen, selbst ins Grundbuch zu kommen – in Tausenden von Fällen. Der BGH erklärte aber die vom Land gemachhte Auflassung zu seinen Gunsten für sittenwidrig und nichtig. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt.

Und die anderen neuen Bundesländer? Sachsen-Anhalt ging rigoros mit der Enteignung um, wenn das Land sich als nach dem Gesetz »Besserberechtigten« für den Boden hielt. Auf eine Anfrage von Hans-Jörg Krause (LINKE) nach dem Wert der auf das Land aufgelassenen Flächen, antwortet die Fachministerin Petra Wernicke: 26 623 Hektar mit einem Wert von 133 115 000 Euro. Eine Bestellung des Landes zum gesetzlichen Vertreter eines Neubauern oder seines Erben könne aber nicht festgestellt werden. Eine Rückgabe werde deswegen zur Zeit nicht gesehen. Es war also alles rechtens?

Das versichert auch Mecklenburg-Vorpommern auf die Kleine Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Birgit Schwebs. Hier recherchierte die Landgesellschaft in etwa 50 000 Grundbüchern und konnte in 7300 Fällen Ansprüche des Fiskus durchsetzen. Das Land aber wurde in keinem Fall, so heißt es, zum gesetzlichen Vertreter von unbekannten Eigentümern bestellt. Darum sieht Schwerin auch keinen »unmittelbaren Handlungsbedarf«. Das Land sieht sich verpflichtet, heißt es, »das durch Verfügung Erlangte herauszugeben bzw. gleichwertigen Ersatz in Land oder Geld zu leisten«, wenn ein Neubauern-erbe eine bessere Berechtigung nachweist. In 13 von 3000 Fällen wurde bisher so verfahren.

Die Landesregierung stellt die nun von Brandenburg angekündigte Rückübertragung von Bodenreformgrundstücken an Neubauern-Erben unabhängig von ihrer Zuteilungsfähigkeit in Frage. Das wäre eine grobe Benachteiligung der Erben, die ihre Grundstücke bis zum Oktober 2000, der Verjährungsfrist der Ansprüche des Fiskus, ans Land verloren haben, weil sie nicht zuteilungsberechtigt waren. Auch der Freistaat Sachsen will die Auflassung zugunsten des Landes ohne Prüfung rückgängig machen oder in Geld ausgleichen, wenn sich bisher noch unbekannte Erben melden, heißt es auf die Anfrage der Linksabgeordneten Caren Lay. Der Freistaat hat in 184 Fällen unbekannter Erben Grundstücke an sich selbst übertragen.

So sehr jedem Erben, der sich noch meldet, der Boden zu gönnen ist, den seine Familie ehrlich erworben und bewirtschaftet hat – den 70 000 Familien, die entschädigungslos enteignet wurden, hilft das nicht. Damit wird wieder zweierlei Recht geschaffen.

Die Bundesregierung weist jegliche Verantwortung von sich. Aus der Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass das Bundesjustizministerium schon im Juli 2000, also Monate vor der Verjährungsfrist, auf das Vorgehen in Brandenburg angesprochen wurde. Doch sei es nicht »Aufgabe der Bundesregierung zu kontrollieren, in welcher Weise die Bundesländer ihre privatrechtlichen Ansprüche geltend machen und ggf. durchsetzen«. »Es geht hier schließlich nicht um eine strittige Auslegung eines Bundesgesetzes«, betont die agrarpolitische Sprecherin Kirsten Tackmann, »sondern um die Frage, ob der Willen des Gesetzgebers rechtsstaatlich umgesetzt wird.«

Unklar ist auch, welche Konsequenzen das BGH-Urteil für die Pächter der Bodenreformgrundstücke hat, die Brandenburg sich sittenwidrig aneignete? Da das Land nach dem BGH-Urteil nicht verfügungsberechtigt ist, sind »die Verträge schwebend unwirksam«, urteilt der Agrarrechtler Prof. Dr. Günter Puls. Noch bewegten verletzte Eigentümerinteressen die Gemüter. Es gehe aber für Betriebe mit hohem Pachtanteil um die Bewirtschaftung der Flächen.

Das Thema wird Bund und Länder weiter beschäftigen. Der Potsdamer Anwalt Thorsten Purps hat die Beschwerde einer Neubauern-erbin aus Frankfurt (Oder) vor der UNO-Menschrechtskommission in Genf eingereicht. Sie wurde Ende Januar angenommen. Die Bundesregierung musste Stellung nehmen.

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