Eichel beschleunigt das Siechtum

Mit neuen Sparprogrammen können Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe nicht kompensiert werden

  • Barbara Höll und Daniela Trochowski
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Gefahr des »Blauen Briefes« der EU-Kommission an Deutschland ist inzwischen abgewendet - der Brief geht nicht auf die Reise. Doch die aufgeregte Reaktion legt den Verdacht nahe, dass die Debatte durch Bundesfinanzminister Hans Eichel instrumentalisiert wird.
Denn Eichel sieht in der Warnung nicht nur eine Bestätigung seines rigiden Sparkurses. Er sucht diese Politik sogar noch zu überbieten, indem er den Europäern feierlich Besserung durch die Auflage eines neuen Sparprogramms gelobt. Und auch wenn der Finanzminister acht Monate vor der Wahl nicht zu konkreten Aussagen bereit ist, sehen er und die rot-grünen Haushaltsexperten die größten Sparpotenziale schon jetzt in den Bereichen Arbeitsmarkt und Gesundheit.
Damit wird deutlich: Die Debatte um den »Blauen Brief« ist nicht mehr als ein Spiegelgefecht, das bei den Bürgerinnen und Bürgern die Einsicht in die Notwendigkeit eines bevorstehenden massiven Sozialabbaus hervorrufen soll. Ginge es Hans Eichel tatsächlich um Haushaltskonsolidierung, würde er die Einnahmeseite der Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen stärken. Doch er hat durch seine massive Steuersenkungspolitik deren Siechtum erst verursacht. So wurden Initiativen der Bundesländer, ihre Steuereinnahmen durch eine Reform der Erbschaftsteuer oder zur Wiedererhebung der Vermögenssteuer zu erhöhen, im Keim erstickt. Vor diesem Hintergrund wirkt die Eichelsche Rhetorik, den Ländern für das hohe Haushaltsdefizit den Schwarzen Peter zuzuschieben, perfide.
Weiterhin ist der Finanzminister nicht bereit, seine ruinöse Unternehmensbesteuerung zu überdenken. Allein im ersten Vierteljahr 2001 brachen die Körperschaftsteuereinnahmen im Vergleich zum Vorjahr um 84,7 Prozent ein. Diese immensen Steuerausfälle des Jahres 2001 sind - im Gegensatz zu den Behauptungen der Wirtschaft - zum überwiegenden Teil auf die Finanzpolitik der Bundesregierung, insbesondere auf die Unternehmensteuerreform, zurückzuführen.
Einige wenige Beispiele: Die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne von Aktiengesellschaften und GmbHs trat zwar erst zum Januar 2002 in Kraft, doch über komplizierte Gestaltungen konnten zahlreiche Konzerne schon im Jahr 2001 ihre Anteile steuerfrei veräußern. Beispiele dafür sind der Verkauf von Anteilen an der Münchener Rückversicherung durch die Dresdner Bank von 1,56 Milliarden Euro oder die Veräußerung von Anteilen an der Allianz. Der Deutschen Bank flossen über 2 Milliarden Euro steuerfrei zu.
Da diese Veräußerungsgewinne durch die Unternehmsteuerreform steuerfrei gestellt wurden, sollten laut Gesetz auch entsprechende Verluste oder Teilwertabschreibungen nicht mehr berücksichtigt werden. Dieses Verbot läuft jedoch oft ins Leere. Die Veräußerungsverluste können durch die Zwischenschaltung einer Personengesellschaft oder die Begründung einer Organschaft auch weiterhin geltend gemacht werden. Gerade die Möglichkeiten zur Begründung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft wurden durch die Unternehmenssteuerreform erleichtert.
Eine großer Teil der zur Finanzierung der Unternehmenssteuerreform beabsichtigten Änderungen ist bis heute nicht umgesetzt worden. So sollten aus der Änderung der Abschreibungstabellen für die Wirtschaft Mehreinnahmen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro erzielt werden. Doch wurde die geplante Änderung der branchenbezogenen AfA-Tabellen nie umgesetzt - so fehlen rund 0,6 Milliarden Euro.
Zweifellos sind die enormen Körperschaftsteuerausfälle des Jahres 2001 auf Grund erhöhter Gewinnausschüttungen nicht unmittelbar auf die Unternehmens-
steuerreform (Steuersenkungsgesetz) zurückzuführen, wohl aber auf dessen Vorläufer - das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002. Durch dieses Gesetz wurde der Körperschaftsteuersatz für einbehaltene Gewinne von 45 auf 40 Prozent gesenkt. In diesem Zusammenhang wurde geregelt, dass die mit bisher 45 Prozent belasteten Gewinne, sofern sie nicht im Jahr 2001 ausgeschüttet werden, zum Jahreswechsel 2000/2001 in 40-prozentig belastetes Eigenkapital umzuwandeln sind. Damit hätte sich ab 2002 der Anspruch auf Körperschaftsteuerminderung um 15 Prozentpunkte vermindert. Um sich die Körperschaftsteuerminderung zu erhalten, mussten die Unternehmen demzufolge die entsprechenden Gewinne noch 2001 ausschütten und erhielten so massive Erstattungen.
Hätte Finanzminister Eichel die Risiken bereits bei Verabschiedung der Unternehmenssteuerreform benannt, wäre sein Entlastungsprogramm für Konzerne am Widerstand der Länder gescheitert. Die neuen Sparprogramme beseitigen nicht die Ursache der Verschuldung - nötig ist daher eine Reform rot-grüner »Reformen«.

Die Autoren sind Abgeordnete bzw. Mitarbeiterin der PDS-Bundestagsfraktion
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