»Agata« im weltlichen Staat

Ideologischer Kampf um das geltende Recht

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Geschichte der 14-jährigen Agata, die in den letzten drei Wochen die Gemüter in Polen erhitzte, will kein Ende nehmen. Es ist eine traurige Geschichte mit relativ gutem Ausgang.

Man erinnerte sich jenes irischen Mädchens, das vor Jahren durch staatliche Eingriffe und eine hysterische Kampagne katholischer Vereine daran gehindert wurde, nach England zu reisen, um dort die »Frucht« einer Vergewaltigung loszuwerden. Ähnliches drohte jetzt in Polen zu geschehen. Das polnische Mädchen erhielt in den Medien den Decknamen »Agata« – anknüpfend an den Fall der kürzlich an Blutkrebs verstorbenen Weltklasse-Volleyballerin Agata Mroz, die trotz ärztlicher Warnung, die Schwangerschaft könne sie das Leben kosten, ihr Kind zur Welt bringen wollte. Glücklich darüber, ihre Mission als Frau erfüllt zu haben – wie sie nach der Niederkunft mehrmals sagte –, verstarb sie wenig später in einem Krankenhaus in Wroclaw. Im Bistum Tarnow, aus dem sie stammte, kam unter Erzkatholiken die Initiative auf, die heldenhafte Mutter selig zu sprechen.

In katholischen Blättern und Internetmedien wurde dieses Beispiel dem Wunsch der vergewaltigten und geschwängerten 14-jährigen »Agata« gegenübergestellt. Denn das Mädchen kämpfte gemeinsam mit seiner Mutter um das Recht einer legalen Abtreibung. Mit einer staatsanwaltlichen Bescheinigung, Opfer eines Verbrechens geworden zu sein, meldete sich »Agata« im Lubliner Krankenhaus. Sowohl dort als auch in einer Warschauer Klinik, an die man sie in Lublin verwiesen hatte, wurde ihr der Eingriff jedoch verweigert.

Dahinter steckten die fundamentalistische Organisation »pro live« und die Lubliner »Stiftung zur Verteidigung des Lebens«. Deren Vorsitzender, Kaplan Krzysztof Podstawka, der die Ärzte mit Hilfe hysterischer Pro-live-Aktivistinnen unter Druck setzte und sie an die »Gewissensklausel« im ärztlichen Ehrenkodex erinnerte, versuchte die Öffentlichkeit gegen die Abtreibung aufzubringen. Dass der Kaplan und seine Anhängerinnen Rechtsbruch verübten, berührte sie keineswegs. Das geltende Recht lässt einen Schangerschaftsabbruch zu, wenn »ein begründeter Verdacht (besteht), dass die Schwangerschaft Folge einer verbotenen Tat ist« und dies vom Staatsanwalt bestätigt wird. Dieses Recht wurde mit Füßen getreten. Rechtswidrig war auch, dass der Kaplan den Namen des Mädchens im Internet publik machte.

In der Presse tobte darob ein Weltanschauungskrieg. »Dziennik« und »Rzeczpospolita« druckten Appelle gegen »Agata«, »Gazeta Wyborcza« und »Trybuna« pochten auf das Recht. Auf allen Fernsehkanälen debattierten »Experten« das Für und Wider. Das verhetzte Mädchen wurde Opfer einer fundamentalistischen Offensive mit dem Ziel der Abschreckung aller Frauen von einer Abtreibung. Es gab Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Fortschrittliche Frauenorganisationen forderten Rechtstaatlichkeit, die anderen riefen alle Polinnen und Polen zur Verteidigung des Rechts auf Leben auf.

Zwischenzeitlich wurde das Mädchen auf Beschluss des »Familiengerichts« in Lublin in eine Betreuungsanstalt eingewiesen. Die Mutter sollte von der Staatsanwaltschaft angeklagt werden, »Agata« zur Schwangerschaftsunterbrechung ermuntert zu haben.

79 Prozent der polnischen Bevölkerung meinten laut einer Umfrage im Jahre 2007, dass vergewaltigte Frauen das Recht auf Abtreibung haben müssen. Wären »Agatas« Eltern reich gewesen, hätte es den Fall übrigens gar nicht gegeben. In privaten Praxen, in denen es keine »Gewissensklausel« gibt, sondern hohe Preise, werden nach Schätzungen von Frauenorganisationen jährlich an die 200 000 Eingriffe vorgenommen.

Kurz vor Ablauf der 12. Woche – letzter Termin für einen zulässigen Eingriff – entschied sich Gesundheitsministerin Ewa Kopacz, dem Mädchen zu helfen. Sie verwies es an eine nicht bekannt gewordene Klinik, wo endlich rechtens gehandelt wurde. Freuen kann man sich nur bedingt darüber. Schließlich ist jeder Schwangerschaftsabbruch für die Frau ein Trauma, sagen Psychologen.

Damit ist die Geschichte indes nicht zu Ende. Wie in Springers »Dziennik« und auf der fundamentalistische Internetplattform »Fronda« zu lesen war, haben kirchliche Vereine die polnischen Bischöfe aufgefordert, Frau Kopacz mit kirchlichem Bann zu belegen! Die Bischöfe verhielten sich zum Fall »Agata« überhaupt sehr »dialektisch«: Im ideologischen Kampf um »höchste Werte« duldeten sie das hysterische Handeln ihrer »Bataillone«, offiziell aber schwiegen sie sich aus. Offensichtlich wollten sie den Anhängern eines weltlichen Staates nicht das Argument liefern, sie akzeptierten den Rechtsbruch.

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