Schlechter Durchblick im Konsumdschungel

Bündnis 90/Die Grünen luden in Berlin zur langen Nacht der Verbraucherrechte

  • Lesedauer: 4 Min.
Von Michaela von der Heydt

Mündiger Verbraucher zu sein – das sagt sich leicht, ist aber manchmal anstrengend. Auf der langen Nacht der Verbraucherrechte versuchten Vertreter der Grünen, auch bei geladenen Gästen Überzeugungsarbeit zu leisten.

Fernsehkoch Tim Mälzer ist, abgesehen von seiner professionellen Leidenschaft, ein ganz durchschnittlicher Verbraucher – mit seiner Vorliebe, für alte und eben auch spritgierige Autos, von denen er trotz Klimaschutzdebatte nicht lassen möchte. Mit einem Tempolimit hat er nichts am Hut, selbst wenn sich beim Ausstoß von Kohlendioxid damit 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr einsparen ließen. Und er bekennt, »zu faul« zu sein, um sich vor dem Einkauf über die umweltschädlichen Folgen seiner Konsumwünsche zu informieren. Damit ist er ein klassischer Anhänger von klaren Kennzeichnungen, so genannten Labels, wie Renate Künast, die frühere Bundesverbraucherschutzministerin, am Freitagabend in der Berliner Kulturbrauerei folgerte.

Verbraucherverbände, Grüne wie LINKE und eben auch Tim Mälzer treten deshalb für eine klare Ampelkennzeichnung bei Lebensmitteln ein. Mit der rot-gelb-grünen Entscheidungshilfe nach englischem Vorbild wären allerdings auch Cornflakes auf einmal nicht mehr ein gesundes Frühstück, sondern eine Süßigkeit.

Und Fehlernährung ist derzeit das größte Ernährungsproblem in Industrieländern: Wir essen zu viel Einfachzucker und Fette. Folge: Rund 40 Millionen Menschen sind allein in Deutschland deutlich zu dick, darunter knapp zwei Millionen Kinder. Doch man wird nicht übergewichtig geboren, und kaum ein vierjähriges Kind hat Bauchringe. Bis dahin steuern die Jüngsten ihren Ernährungsbedarf nämlich selbst – wenn man sie lässt. Mit anderen Worten: Eltern und andere Erwachsene stehen in der Pflicht, fordert der Fernsehkoch, der bei seinem Essen nicht den perfekten Vitamin- und Kaloriengehalt im Blick hat, wohl aber regionale Produkte bevorzugt.

Ernährung muss in Kindergärten und Schulen eine viel größere Rolle spielen, sagt Katharina Hennecke vom Berliner Bezirksamt Lichteberg. Wenn Kinder verschiedene Brotsorten schmecken und riechen und noch Aufstriche selbst herstellen, bekommen sie eine andere Beziehung zum Essen, glaubt die Koordinatorin für Gesundheitsfürsorge. Doch oft sind Broschüren für Erzieher und Lehrer viel zu lang und kompliziert, beschwerte sich Mälzer. Er setzt bei seinen Schulprojekten darauf, Kindern Spaß am Kochen und Wissen in kleinen Portionen zu vermitteln.

Aber die Werbeindustrie schläft nicht: Mit Entwicklungspsychologen und Produktentwicklern wirft sie geballtes Wissen in die Waagschale, denn Kinder und Jugendliche sind eine manipulierbare und umworbene Zielgruppe. Nach dem Motto: Gewinnt die unter Achtjährigen, und euch gehört die nächste Generation. Applaus erntete deshalb bei der langen Nacht der Verbraucherrechte auch die Forderung, auf Kinder unter zwölf Jahren ausgerichtete Reklame zu verbieten, und zwar in allen Medien, wie Künast betonte.

Ebenso wichtig wie schwer durchsetzbar ist die Forderung nach einem CO2-Label – nicht nur für Nahrungsmittel. Denn wer schaut schon, woher Möhren, Erdbeeren oder Äpfel kommen? Doch was und wie wir essen, wirkt sich auf die Klimaveränderungen aus und trägt zu rund 20 Prozent zum Gesamtausstoß von Treibhausgasen bei, erläutert eine Grünen-Broschüre – bei Verarbeitung, Lagerung, Handel, Transport, Kühlen und der Agrarproduktion.

Das gilt auch für Biolebensmittel, die oft ebenso weit um den Globus fliegen. Und ihr Kauf ist trotzdem noch sinnvoller, erklärte die ernährungspolitische Sprecherin der Bundestags-Grünen, Ulrike Höfken. Denn jeder Acker ohne Pestizide sei ein Gewinn für Natur, vor allem aber für die Menschen in den Ländern, wo Pestizide oft ohne Schutz von den Bauern ausgebracht würden. In Deutschland müssten wieder mehr Anschubmittel für Landwirte zur Verfügung stellen, die auf biologische Landwirtschaft umstellen wollen, forderte die Bundestagsabgeordnete. Die Mittel waren, Höfken zufolge, nach 2005 in allen Bundesländern zusammengestrichen worden. Höfken ermunterte auch am Freitag die rund 200 Zuhörer dazu, das wenn auch unzureichende Verbraucherinformationsgesetz zu nutzen und so den Nachbesserungsbedarf deutlich zu machen.

Wer sich über seine Erfahrungen als Verbraucher austauschen will, ob klimabewusst oder nicht, oder sich informieren will, dass ein Stromwechsel zu Ökoanbietern ebenso wenig weh tut wie das eine oder andere Mal statt in den Flieger in den Zug zu steigen, könnte im Internet das Forum www. utopia.de besuchen, das »Orientierung statt Dogma« vermitteln will, wie die Betreiberin Claudia Langer im Gespräch mit Höfken erklärte.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal