30 Jahre nach dem ersten Besuch eines USA-Präsidenten (Richard Nixon) in der Volksrepublik China nahm sich auch George Bush rund 48 Stunden Zeit, um im Reich der Mitte Pflöcke für das »pazifische Jahrhundert« einzuschlagen.
In Bushs Vision steht dieses Jahrhundert natürlich unter der militärischen Dominanz der USA und der ökonomischen Vorherrschaft ihrer Konzerne. Chinas Führung hat da gewiss andere Vorstellungen. Sie verheimlicht dem Gast ihre Interessenlage nicht und verweist unumwunden auf Streitpunkte, stellt jedoch die Übereinstimmung in grundsätzlichen Fragen in den Vordergrund.
Ins Gewicht fällt, dass die ökonomischen Beziehungen rasch an Bedeutung gewinnen. China ist heute der viertgrößte Handelspartner der USA: Im Jahre 2000 beliefen sich die US-amerikanischen-Importe aus China auf 92,4 Milliarden, die Exporte auf etwa 22 Milliarden Dollar. Bis 2005 wollen die USA ihren Export mehr als verdoppeln. Dadurch könnten im eigenen Land fast 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Mehr noch: Bis 2005 wird China nach dem Stand der Dinge zum größten Handelspartner der USA in Asien aufsteigen. Schon jetzt ist ein Zuwachs der Investitionen von USA-Firmen in China um jährlich 25 Prozent festzustellen. Der Umsatz dieser Unternehmen in China ist heute bereits ebenso groß wie der gesamte Export der USA ins Reich der Mitte. Die Konzerne nutzen ihren Standort in China als Drehscheibe, um ihre weltweiten Produktionsnetze zu bedienen und den Vertrieb ihrer Produkte vor allem in Asien zu organisieren. Und keine der beiden Seiten will die begonnene wirtschaftliche Verzahnung gefährden oder gar aufgeben will. Im Gegenteil, nach dem WTO-Beitritt Chinas im Januar 2002 wird diese Entwicklung rasch voranschreiten.
Grundsätzliche Übereinstimmung herrscht auch darin, dass der internationale Terrorismus bekämpft werden muss. Nach dem 11. September 2001 hat sich Chinas Führung allerdings auch unmissverständlich dagegen gewandt, dass die Terroranschläge von New York und Washington als Vorwand benutzt werden, um die Hochrüstung zu Gunsten des militärisch-industriellen Komplexes der USA zu forcieren und eine »Achse des Bösen« zu konstruieren. Im Gespräch mit Bush mahnte Jiang Zemin denn auch, es müsse »mehr Wert auf Frieden« gelegt werden, da sei manchmal Geduld notwendig.
Tatsächlich sind weder eine nicht mehr beherrschbare Zuspitzung auf der koreanischen Halbinsel, in Mittelasien oder im Mittleren Osten noch die Errichtung militärischer Stützpunkte der USA in Zentral-asien für Peking akzeptabel. Da es in der NATO zwischen den USA und Westeuropa vernehmbar knirscht und sowohl die EU als auch Russland ihre Kritik an der Außenpolitik der Bush-Regierung deutlicher denn je zuvor artikulieren, sieht sich Peking darin bestärkt, einer Neuauflage der überholten Eindämmungs-Politik der USA durch Bush strikt entgegenzutreten. Bleibt die Frage nach dem Wie.
Der rasche Ausbau der wirtschaftlichen, finanzpolitischen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Beziehungen zu China wird auch für die Entwicklung der USA selbst immer wichtiger. Eben deshalb hat Bush das 21. Jahrhundert für sich als »pazifisches Jahrhundert« entdeckt. Voraussetzung ist politische Stabilität in Ost- und Südostasien, die der USA-Präsident allerdings nicht durch Abrüstung, sondern durch dauerhafte massive militärische Präsenz, die weitere Aufrüstung Japans und Südkoreas, die Lieferung moderner Waffen an Taiwan und die Installierung eines Raketenabwehrsystems schaffen will. Die chinesische Führung - für die das Dreiecksverhältnis China-USA-Taiwan ein Kernproblem darstellt - wird dem durch den Ausbau eigener militärischer Potenziale zu begegnen versuchen, ohne sich auf ein Wettrüsten einzulassen.
So haben sich auch nach dem 11. September 2001 sehr widersprüchliche Entwicklungen vollzogen und teilweise derart verfestigt, dass sie die Beziehungen China - USA vor allem belasten. Bleibt abzuwarten, ob die vereinbarte Weiterführung des Dialogs auf hoher und höchster Ebene diese Situation zu ändern vermag.