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Bundeskunstpreisverleihung: »Wo ist Hannas Arbeit?«
Bundeskunstpreisverleihung wird zum Solidaritätsabend für Hanna Schiller
Die Verleihung des Bundespreises für Kunststudierende läuft seit gut einer Stunde, als im gut gefüllten Saal der Bonner Bundeskunsthalle immer mehr Menschen aufstehen und laut eine Frage stellen: »Wo ist Hannas Arbeit?« Die meisten der Stehenden tragen dazu weiße T-Shirts. Auch dort steht die Frage nach Arbeiten von Hanna Schiller.
Warum fehlen die Arbeiten der Kunststudentin, nachdem sie im Februar als Preisträgerin benannt wurde? Die Antwort darauf ist simpel und sinnbildlich für das Jahr 2025: Hanna Schiller ist auch Antifaschistin. Im September wurde sie in München zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht verurteilte sie wegen gefährlicher Körperverletzung und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Schiller soll 2023 an Attacken auf Neonazis im Umfeld des »Tages der Ehre« in Budapest beteiligt gewesen sein. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Beide Seiten haben Berufung eingelegt.
Zurück ins Frühjahr: Nachdem die Preisträger*innen des Bundeskunstpreises bekannt gegeben worden waren, hatten rechte Blogs herausbekommen, dass es sich bei Hanna S., die in München vor Gericht stand, und der Preisträgerin Hanna Schiller um dieselbe Person handelt. Es folgte eine mediale Kampagne gegen die Auszeichnung, die bei neonazistischen Influencern begann und in Berichten der »Bild«-Zeitung endete. Kampagnen nach ganz ähnlichem Muster waren später im Jahr gegen die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf als Bundesverfassungsrichterin oder gegen die Träger*innen des deutschen Verlagspreises zu erleben.
Beim Bundeskunstpreis knickten die Auszeichnenden vom Bundesbildungsministerium und vom Deutschen Studierendenwerk im April ein. Sie erklärten, den Preis für Hanna Schiller »ruhend« zu stellen. Zur Begründung hieß es, beim Preis gehe es nicht nur um die künstlerischen Arbeiten, er sei auch »mit einer Förderung der jeweiligen Person verbunden«. Die Vorwürfe gegen Schiller seien »sehr schwerwiegend«. Daher wolle man die Preisvergabe nach einem rechtskräftigen Urteil prüfen. Einen Hinweis, ob und welche Vorstrafen und Gerichtsverfahren bei Preisträger*innen akzeptabel sind, gibt es übrigens bislang nicht.
Bei der Preisverleihung und Ausstellungseröffnung in Bonn sollte Hanna Schillers Arbeit, die auch ausgezeichnet wurde, weil sie eine »Dringlichkeit« hat, der »sich nur schwer zu entziehen ist«, nur ein kleines Randthema sein. Im Bühnengespräch zwischen Vertreter*innen von Kunsthochschulen, Bundeskunsthalle und Studierendenwerk, wurde die CDU-Politikerin Catrin Hannken, die als Leiterin der Unterabteilung Berufliche Bildung für das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend an der Verleihung teilnahm, nach dem ruhenden Preis gefragt. Hannken gab kurz die Position des Ministeriums wieder und sprach dabei fälschlicherweise von einer Mordanklage gegen Schiller. Das sollte es zur achten Preisträgerin des Bundeskunstpreises in diesem Jahr gewesen sein.
War es aber nicht, denn die anderen Preisträger*innen nutzten die Verleihung für Statements zugunsten ihrer Kollegin. Lynn Gerstmair, die an der Kunsthochschule Halle studiert, spricht von einem »großen Redebedarf«, den man habe. Da die Arbeiten von Hanna Schiller fehlten, gebe es eine »große Lücke in der Ausstellung«. Minh Anh Nguyen sagt mit Tränen in den Augen, dass Schiller »jeder Raum genommen wurde«. Sie finde es traurig, dass ihre Arbeiten nicht gezeigt werden.
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Bubu Mosiashvili äußerte sich ähnlich wie in einem Interview mit dem »nd« vor knapp zwei Wochen. Und ebenfalls unter Tränen verlasen Mitglieder des Hamburger Living Room Collective ein Statement der Preisträger*innen. Darin erklärten sie, sie glauben, dass »Kunst ein Ort ist, Auseinandersetzung oder Gespräche zu führen, die in Gerichten oder Parlamenten nicht möglich sind«. Hanna Schiller bearbeite Themen wie das Sterben auf dem Mittelmeer oder patriarchale und rechte Gewalt. »Wären Hannas Arbeiten hier in der Ausstellung, dann hätten wir darüber reden und streiten können. Das ist uns wichtig!«, so die Künstler*innen.
Trotz Interventionen der Moderatorin, die wiederholt auf die fehlende Zeit für solche außerplanmäßigen Reden hinwies, gelang es den Künstler*innen, noch einen Appell an das Publikum zu richten. Man möge doch nach der Preisverleihung zu einem gemeinsamen Spaziergang ins Bonner Zentrum aufbrechen, dort seien im »Atelier Flow« Arbeiten von Hanna Schiller ausgestellt. Eine Einladung, der viele Gäste und Preisträger*innen des Bundespreises für Kunststudierende folgten.
Neben diesem Zeichen der Solidarität gab es am Donnerstag noch eine gute Nachricht für die inhaftierte Kunststudentin. Die Kurt-Eisner-Kulturstiftung gab bekannt, dass sie Schiller für ihre »herausragende künstlerische Praxis« auszeichnet. Ihre Arbeiten zeichne aus, komplexe Themen »in hoher Reflexion einer Diskussion zugänglich zu machen«. Schillers Arbeiten seien nötiger denn je, »je mehr sich in unserer Gesellschaft Ideen von Schließung, Abgrenzung und identitärer Selbstbestätigung ausbreiten«. Am Ende ihrer Mitteilung zitiert die Kurt-Eisner-Kulturstiftung ihren Namensgeber: »Kunst kann nur gedeihen in vollkommener Freiheit … Der Künstler muss als Künstler Anarchist sein …«
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