Duz-Platz lässt Menschen zusammenrücken
Im niedersächsischen Westerstede entstand 2003 aus einem Marketinggag eine Marke
Die Briten und Amerikaner tun es ständig. Auch die Australier und Kanadier machen es vor. Nun tut man's auch in der niedersächsischen Kreisstadt Westerstede – man duzt sich, auch wenn man sich gar nicht kennt.
Begonnen hat alles im Jahre 2003 als Marketinggag der 880 Jahre alten Kreisstadt im Ammerland. Damals wurde der alte Marktplatz zwischen dem Rathaus und der historischen St. Petri Kirche, dem gut 900 Jahre alten Wahrzeichen von Westerstede, offiziell in einen Duz-Platz umgewandelt.
Offizielles Siez-Verbot
Dort, wo sternförmig die Hauptachsen der Stadt zusammenlaufen, ist ein förmliches »Sie« seither verpönt. Vielmehr fordert ein Schild Besucher und Einheimische auf, sich im Schatten des 48 Meter hohen Gotteshauses einfach zu duzen. Bußgelder werden bei Verstößen allerdings nicht verhängt. Man hört höchstens mal Schelten wie »Du, du, du!«, wenn sich jemand nicht an die Gepflogenheiten auf dem Marktplatz hält.
»Die Resonanz ist durchweg positiv«, bilanziert Waltraud von Garrel von der Touristik Westerstede. Geistiger Vater des Duz-Platzes war Mischa Braun. Der Westersteder Finanzbeamte setzte sich mit der Anregung zur Einrichtung eines solchen Areals beim städtischen Ideenwettbewerb durch und löste damit einen ungeahnten Medienrummel in der 22 000-Seelen-Gemeinde aus. »Ein Duz-Platz lässt«, so erklärten Mischa Braun und Westerstedes Bürgermeister Klaus Groß bei der Einweihung unisono, »die Menschen zusammenrücken und vermittelt den Besuchern eine gewisse Vertrautheit.«
Per Du mit Rhododendren
Und diese Vertrautheit wird nicht dem Zufall überlassen. Denn die Fremdenführer des staatlich anerkannten Erholungsortes nehmen die Besucher gleich mit überdimensionalen Sie-Verbotsschildern in Empfang, während ein zweites Schild mit riesigen weißen Lettern auf rotem Grund klar und deutlich das »Du« einfordert.
Vielleicht ist es auch diese Vertrautheit, die Westerstede zur »Hauptstadt der Rhododendren« werden ließ. Die Gärtner und Landschaftspfleger scheinen jedenfalls ausnahmslos mit den Pflanzen per Du. Und die Rhododendren danken es ihnen mit einer faszinierenden Vielfalt und Blütenpracht, die sich im Mai und Juni entfaltet. Mehr als 1000 Sorten gedeihen im Ammerland. Nicht von ungefähr steigt in Westerstede alle vier Jahre mit der »Rhodo« (www.rhodo.de) eine der größten Rhododendrenschauen Europas. Die nächste findet vom 15. bis 24. Mai 2010 statt. Doch solange müssen Gartenfreunde und Naturliebhaber nicht warten. Denn im Stadtteil Linswege befindet sich mit dem Rhododendronpark Hobbie eine riesige Sammlung dieser faszinierenden Heidekrautgewächse. Mal zwergenklein, mal sieben Meter hoch aufragend, immer aber mit verlockenden Farben und prächtigen Blüten werden auf dem 70 Hektar großen Areal entlang eines acht Kilometer langen Wegenetzes rund einhundert Rhododendren-Arten präsentiert.
Gegründet wurde der Park im Jahre 1928 von Namensgeber Dietrich G. Hobbie. Ob der auch mit seinen Pflanzen redete, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass ihn die Faszination für die Rhododendren bei einem Englandbesuch in den 30er Jahren ergriff.
Auf den britischen Inseln ist das »Sie« bekanntlich völlig ungebräuchlich. Und wer weiß, vielleicht wurde mit Hilfe der mitgebrachten Pflanzensamen aus Exbury, den Londoner Kew Gardens, und Cornwall auch das Duz-Gen nach Westerstede importiert – zumindest aber könnten sie Jahrzehnte später Mischa Braun zu seiner genialen Idee inspiriert haben.
Infos: Touristik Westerstede e.V., Am Markt 2, 26655 Westerstede, Tel.: (04488) 194 33, Fax (04488) 55 55, E-Mail: touristik@westerstede.de, www.westerstede.de
Rhododendronpark Hobbie, Zum Hullen 3, 26655 Westerstede, Tel.: (04488) 22 94, Eintritt: 6 Euro, www.hobbie-rhodo.de
Ammerländer Vogel- und Landschaftspark Westerstede, Seghorner Weg 3, 26655 Westerstede, Tel.: (04488) 31 52, Eintritt: 6 (3) Euro, E-Mail: vogelpark-westerstede@t-online.de, www.vogelpark-westerstede.de
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